Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
könnte mich verhört haben. »Was wollen Sie damit sagen?«, frage ich.
»Dass Sie dort bleiben, Kostas, bis die Sache aufgeklärt ist.«
»Aber Herr Kriminaldirektor -«
»Hören Sie, ich habe keinerlei Vertrauen zu den Türkenbrüdern, und ich weiß nicht, was die hinter unserem Rücken ausbrüten. Stellen Sie sich vor: eine neunzigjährige Mörderin, die obendrein noch Pontusgriechin ist. Aus der kann man alles Mögliche machen, von einer Spionin bis zu einem Opfer der griechischen Politik. Wenn morgen irgendetwas schiefläuft, schreit die Medienmeute gleich wieder, die Türken hätten uns in die Pfanne gehauen, und ich weiß nicht, wo ich zuerst in Deckung gehen soll. Also will ich, dass Sie bleiben und mich zeitgerecht informieren, sobald Sie etwas herauskriegen.«
Ich kann nicht sagen, dass ich mich in Istanbul unwohl fühle, wenn man die Voraussetzungen meiner Reise bedenkt, aber die Aussicht eines unbefristeten Aufenthalts begeistert mich absolut nicht. Ich möchte gerade jetzt, da unsere Nerven aus familiären Gründen blankliegen, nicht so weit weg von Athen sein. Andererseits kann ich Gikas' Befürchtungen nachvollziehen, obwohl ich sie nicht teile. Wie sollten die Türken aus der Geschichte einer Neunzigjährigen, die ihren Bruder in der Nähe von Drama umgebracht hat, Profit schlagen? Sollte ein türkischer Haftbefehl gegen sie vorliegen, hätte ich für Gikas' Ängste Verständnis, obwohl in diesem Fall das Konsulat zuständig wäre. Doch ich denke, wir sind ohnedies noch fünf Tage hier, also kann ich mich ab und zu, wenn mir Zeit bleibt, nach dem Fall erkundigen.
»Ich möchte, dass Sie mir die Abschriften der Aussagen zuschicken, die von der Polizeidirektion Drama zu Protokoll genommen wurden«, sage ich zu Gikas.
»Geben Sie mir eine Faxnummer durch, dann haben Sie morgen alles.«
Ich diktiere ihm die Faxnummer des Hotels, die im internen Telefonverzeichnis steht, bevor wir das Gespräch beenden.
Als ich auflege, wirft mir Adriani, die sich gerade auf den abendlichen Ausgang vorbereitet, einen misstrauischen Blick zu. Ich fühle mich gezwungen, ihr die Sachlage zu erklären und meine Aktivitäten zu rechtfertigen, worauf sie mir einen ihrer Sinnsprüche an den Kopf wirft.
»Mein lieber Kostas: Schlägt der Hase wilde Haken, darf er sich nicht wundern, wenn er abgeschossen wird, wie mein seliger Vater immer sagte.« Dabei war ihr Vater gar kein passionierter Jäger, sondern Beamter bei der Depositen- und Darlehenskasse.
»Du bist hier im Urlaub, und es besteht kein Grund, dich auf solche Dinge einzulassen. Ich jedenfalls habe nicht vor, mein Programm deinetwegen zu ändern.«
Mit diesem Kommentar lässt sie mich stehen, um in die Lobby hinunterzugehen.
* 6
Zuckerbrot und Peitsche, so ist das Leben. Die Peitsche habe ich gestern von Gikas zu spüren gekriegt, heute gibt's Zuckerbrot, ohnehin meine neue Leidenschaft. Das Linienschiff durchpflügt das ruhige Meer und bringt uns von den Prinzeninseln zurück nach Istanbul. Wenn ich Prinzeninseln sage, meine ich nicht alle vier auf einmal, sondern nur eine, nämlich Prinkipos. Die anderen haben wir von weitem gesehen, als wir auf dem Wasser daran vorüberzogen, oder vom »Schiffsanleger« aus, wie die Mouratoglou den Pier nennt.
Ein gemeinsamer Wunsch aller Reiseteilnehmer war es, nach Chalki zu fahren und die Theologische Schule zu besuchen, doch sie war geschlossen. So landeten wir auf Prinkipos und unternahmen mit den Pferdekutschen die »kleine Inselrundfahrt«, wie es die Mouratoglou angeregt hatte. Dabei stellte sich heraus, dass sie über die Geschichte eines jeden der aus Holz errichteten Landsitze Bescheid wusste und alle griechischen und etliche der armenischen und jüdischen Vorbesitzer kannte. Man hat eine Unmenge EU-Gelder verbraten, um in Griechenland ein elektronisches Liegenschaftskataster einzurichten, nur leider ohne Erfolg. Man sollte sich ein Beispiel an der Mouratoglou nehmen, die als Einzelperson das gesamte Grundbesitzverzeichnis der Konstantinopler Griechen im Kopf hat.
Mein Handy klingelt, als wir gerade die Insel Proti anlaufen, die Istanbul am nächsten gelegene der vier Prinzeninseln. Auf dem Display erkenne ich Katerinas Nummer, und Panik erfasst mich. Wie soll ich bloß reagieren? Vom gedehnten »Naaa?« über das trockene »Was gibt's?« bis zum zärtlichen »Wie geht's dir, mein Schatz?« stehen mir alle Optionen, wie es in unserem
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