Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
Gedanken versunken kehre ich an meinen Platz zurück. Adriani macht eine fragende Handbewegung, und ich erkläre ebenfalls wortlos, nichts sei los, und blicke woandershin, um die Diskussion in Gebärdensprache zu beenden. Mein Blick fällt auf einen Wellenbrecher, der auf einen Leuchtturm zuführt.
»Was ist das für ein Leuchtturm?«, frage ich die Mouratoglou.
»Das Laternchen«, antwortet sie lachend. »So heißt er bei uns. Ein Zeichen, dass wir uns Istanbul nähern. An diesem Punkt sagten wir uns früher, dass wir in zwanzig Minuten ankommen würden.«
Die Mouratoglou unterbricht sich, da die Petropoulou auf sie zusteuert. Die Petropoulou schubst Adriani mit einem »Erlauben Sie mal?« beiseite, um sich einen Platz an Mouratoglous Seite zu sichern, und Adriani ergreift die Gelegenheit, um in meine Nähe zu gelangen.
»Wer war dran?«, fragt sie. »Hat dir Gikas wieder etwas Neues aufgehalst?«
»Katerina hat angerufen.«
Ihr Mienenspiel verändert sich schlagartig. Sie reißt die Augen auf, und nur mit Mühe hält sie die Lautstärke ihrer Stimme im Zaum. »Und?«
Ich wende mich um und nagle sie mit meinem Blick fest. »Ich sage dir, was los ist, aber wenn du Katerina auch nur einen Ton sagst, rede ich nie wieder mit dir. Da kannst du noch so viele gefüllte Tomaten kochen.«
»Beim Wohle meiner Tochter, ich schwöre es dir. Komm, sag schon!«
Ich erstatte ihr rückhaltlos Bericht, so wie ich es sonst selbst Gikas gegenüber nur in Ausnahmefällen tue. Als ich fertig bin, schlägt sie das Kreuzzeichen. Zwei Türkinnen mit Kopftüchern und langen Mänteln blicken sie befremdet an. Die eine schüttelt mit einem Lächeln den Kopf, wobei sie den Blick zum Himmel richtet.
»Reiß dich zusammen, wir sind hier nicht in Athen«, ermahne ich sie für alle Fälle.
»Gleich morgen früh zünde ich in der Dreifaltigkeitskirche am Taksim-Platz eine Kerze an.«
Unmittelbar nach diesen Worten bricht sie jäh in Tränen aus. Nun blicken nicht nur die beiden Kopftuchträgerinnen, sondern auch die anderen Reiseteilnehmer, darunter auch die Mouratoglou, verdutzt zu ihr hin. Zum Glück ist die Petropoulou schon wieder an ihren Platz zurückgekehrt.
»Ist was passiert?«, fragt sie besorgt.
»Nein, Frau Mouratoglou, das sind Freudentränen. Unsere Tochter wird heiraten.«
»Ja, aber haben Sie mir nicht erzählt, dass sie bereits verheiratet ist?«, wundert sich die Mouratoglou.
»Doch, aber jetzt wollen die beiden auch kirchlich heiraten.«
Die Mouratoglou lacht auf: »Haben Sie vielleicht, ohne es zu wissen, Vorfahren aus Istanbul?«, fragt sie uns.
»Wieso?«
»Denn wir hier in Istanbul heiraten immer zweimal. Hier ist die standesamtliche Trauung zwingend vorgeschrieben. So heiratet man bei uns zuerst einmal auf dem Standesamt und danach in der Kirche. Aber nur, wenn man auch kirchlich getraut wurde, kann man endgültig von sich sagen: >Ja, ich bin verheiratet<. Die Hochzeit ist erst dann vollkommen, wenn beide Trauungen stattgefunden haben.«
»Wollten wir das Ganze nicht für uns behalten?«, merke ich streng an, um Adriani zurückzupfeifen.
»Erstens sind wir in Istanbul, und zweitens habe ich nur mit Frau Mouratoglou gesprochen. Also zählt es nicht«, versetzt sie schnippisch.
Im Hotel erwarten mich vier Faxsendungen. Auf dem einen sind die amtlichen Aussagen, die Maria Chambous Nachbarn der Polizeidirektion Drama gegenüber gemacht haben. Auf einem weiteren befindet sich der gerichtsmedizinische Obduktionsbefund. Das dritte Fax beinhaltet den Bericht der Spurensicherung und das vierte das behördliche Schreiben mit dem Ersuchen an das Istanbuler Polizeipräsidium, mich im Zuge der Ermittlungen als Verbindungsbeamten zu den türkischen Polizeibehörden anzuerkennen. Ein handschriftlicher Vermerk von Gikas auf dem Fax mit den Aussagen unterrichtet mich darüber, dass diese Schriftstücke in beglaubigter Übersetzung an das Istanbuler Polizeipräsidium geschickt wurden.
An der Bar bestelle ich einen Kaffee und nehme Platz, um die Unterlagen zu lesen. Der Obduktionsbefund ist so langatmig wie immer, daher überfliege ich ihn, bis ich zu der Stelle gelange, wo von der Auffindung des vergifteten Opfers, Jannis Adamoglou, in seinem Haus die Rede ist und davon, dass in seinem Magen und in seinem Blut Spuren von Pflanzenschutzmittel festgestellt wurden.
Die Spurensicherung glaubt, Adamoglou habe sich bis in die
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