Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
Beschreibung von ihr geben?«
Der Arzt denkt kurz nach, und dann antwortet er mir über die Kourtidou. »Klein, bucklig, schütteres weißes Haar, volle Lippen und ein kleines Oberlippenbärtchen... Besonders nach den Hustenanfällen rang sie stark nach Luft, und dadurch konnte sie sich nur schwer auf den Beinen halten.«
Ich glaube nicht, dass er noch etwas hinzuzufügen hat, und bedanke mich für seine Hilfe. Ganz mechanisch und in Gedanken versunken kehre ich mit der Kourtidou dorthin zurück, wo Adriani und die Mouratoglou auf uns warten. Eigentlich würde ich jetzt ein paar Überlegungen anstellen, doch da mich das Geplauder der drei Damen ohnehin ablenken und aus dem Konzept bringen wird, beschließe ich, das Nachdenken auf später zu verschieben und vorher noch einen Blick auf Safos Grab zu werfen.
»Wie kommen wir zum Friedhof?«, frage ich die Kourtidou. »Ich würde gerne Safo Chambous Grab sehen.«
Wieder bemerke ich die Verwunderung in ihrem Blick, doch sie ist feinfühlig genug, nicht weiter nach meinen Gründen zu fragen. »Also, das ist nicht weit.«
Als wir zu viert den Friedhof betreten, sehen wir aus wie Angehörige, die zu einer Gedenkandacht gehen. Die Kourtidou bittet den Friedhofswärter, uns zu Safo Chambous Grab zu führen.
Es besteht aus einem schlichten Kreuz, auf dem ihr Name und ihr Geburts- und Todesdatum stehen. Auf der Grabplatte liegt ein noch nicht ganz verwelkter Strauß Nelken. Eines zumindest scheint mir klar: Sie ist hergekommen, um Abbitte zu leisten, weil sie ihrer Schwägerin Unrecht getan hatte. Daher hatte sie ihr eine genießbare Käsepitta mitgebracht. Doch da es zu spät war, hat sie ihr stattdessen Blumen aufs Grab gelegt.
»Gibt es keine griechischen Ärzte in Baloukli?«, frage ich die Kourtidou, als wir wieder in den Mercedes steigen.
»Es gibt schon ein paar, aber die meisten sind Türken.«
»Warum? Gibt es nicht genügend Ärzte unter den Konstantinopler Griechen? Oder stellt ihr türkische Ärzte ein, damit die Türken euch in Ruhe lassen?«
Es liegt ihr schon eine Antwort auf der Zunge, doch sie hält inne und blickt mich an. »Sie zumindest hätten das nicht fragen sollen, Herr Kommissar.«
»Wieso nicht?«, wundere ich mich.
»Weil wegen der Zypernkrise so gut wie alle Ärzte, alle Ingenieure, alle Wissenschaftler fort sind. Nur die Rechtsanwälte sind hiergeblieben, denn sie können am Vermögen der Konstantinopler Griechen noch etwas verdienen.« Sie macht eine Pause und versucht ihren Zorn zu mäßigen, doch sie ist kurz vorm Explodieren. »Ihr Griechen habt euch taub und blind gestellt, als man daranging, uns zu ruinieren. Ihr habt geschrien, Zypern sei griechisch, und habt uns den Türken in die Hände gespielt. Und was habt ihr davon gehabt? Eine halbe Insel. Wenn es wenigstens die ganze gewesen wäre, dann hätte ich gesagt, sei's drum. Aber wegen einer halben? >Wir sind ein collateral damage, Mama<, sagt meine Tochter, die in Kanada lebt und ihr Griechisch vergessen hat. Ich habe meinen Sohn gefragt, was collateral damage bedeutet, und er hat es mir erklärt: >Begleitschaden<. Nun ja, ich würde das anders beschreiben: Wir waren wie eine dünne Scheibe Salami im Sandwich, eingeklemmt zwischen den Türken und euch Griechen, und von beiden Seiten wurden wir in die Mangel genommen!« Sie verstummt, aber immer noch nagelt mich ihr Blick fest. »Wissen Sie, was ich glaube, Herr Kommissar? Hätten die Türken gewusst, wie wenig euch an uns Konstantinopler Griechen liegt, dann hätten sie uns kein einziges Haar gekrümmt. Sie hätten begriffen, dass sie sich unsertwegen nur ins politische Abseits manövrieren würden.«
Nachdem sie geendet hat, lenkt sie ihre ganze Aufmerksamkeit wieder auf ihren Wagen. Sie lässt den Motor an und fährt unter dem betroffenen Schweigen der Insassen los.
* 17
Schritt für Schritt beginnt sich der Plan abzuzeichnen, und die Motive der Chambou werden nachvollziehbar: Zuerst tötet sie ihren Bruder in Drama. Dann kommt sie nach Istanbul, geht nach Makrochori und bringt ihre Cousine, die Adamoglou, um. In beiden Fällen waren Motiv und Tatwaffe identisch. Das Motiv ist Rache: Ihr Bruder misshandelte sie, laut übereinstimmenden Aussagen, seit dem Tag, an dem sie zu ihm gezogen war, und die Familie Adamoglou hatte sie in ihrer Jugend schikaniert und ausgenutzt. Die Tatwaffe bildete bei beiden Morden das Pflanzenschutzmittel Phosphorsäureester, das in den
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