Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
ich, nur aus Neugier, da ich wohl keine Akte über ihn anlegen werde.
»Kemal...« und dann etwas mit »-oglu«, das ich nicht ganz verstehe.
»Hat jemand gesehen, wie die alte Frau hereingekommen ist?«
»Nein.«
»Hat das Wohnhaus einen Portier?«
»Ja, schon, nur ist er des Öfteren nicht auf seinem Posten, da er Botengänge für die Hausbewohner erledigt.«
Nicht auszuschließen, dass die Chambou draußen abgewartet hat, bis der Portier wieder einmal weg war, um sich in das Wohnhaus zu schleichen. »Hat er allein hier gelebt?«
»Ja. Eine Aserbeidschanerin sieht nach ihm, aber sie hat sich freigenommen, um ihre Familie zu besuchen.«
»Wer hat ihr dann geöffnet?«
Murat hebt die Schultern. »Er muss ihr wohl selbst aufgemacht haben.«
Obwohl der Tathergang auf der Hand zu liegen scheint, bleiben meine Zweifel bestehen. Die Göttin des Schicksals und des Zufalls ist zwar blind, aber selbst ihr Unvermögen hat Grenzen. Wie konnte die Chambou wissen, wo dieser Kemal wohnte, und wie konnte sie nach so vielen Jahren seine Wohnung aufspüren? Vor allem, wenn sie bei niemand anderem läutete, bei keinem nachfragte und keiner sie gesehen hat? Und die zentrale Frage ist doch: Warum sollte sie einen Türken töten? War sie vielleicht mit ihm verwandt? Ich kann es zwar nicht hundertprozentig ausschließen, aber es klingt mir allzu konstruiert. Es bestärkt nur mein Gefühl, dass wir ein Phantom aus der Vergangenheit jagen, von dem wir weder wissen, wo es sich aufhält, noch wo und wann es wieder auftauchen wird.
»Haben Sie seine Angehörigen verständigt?«, frage ich Murat.
»Noch nicht. Wir wollen lieber erst unsere Arbeit hier beenden, bevor wir die Familie in Kenntnis setzen, um großes Geschrei und Wehklagen zu vermeiden.«
Wir hätten es genauso gemacht. Erfahrungsgemäß ist es besser, die Angehörigen zu Hause zu besuchen oder sie aufs Polizeirevier zu bestellen. Danach müssen sie ohnehin in die Anatomie, um die Leiche zu identifizieren.
»Haben Sie herausbekommen, was für ein Mensch er war? Hatte er Freunde oder auch Feinde?«
»Aus den ersten Vernehmungen, die das örtliche Polizeirevier durchgeführt hat, geht hervor, dass er ein friedliebender Mann war, den die Erwachsenen sympathisch fanden und den auch die Kinder gern hatten. Sie riefen ihn >Opa<, weil er mit ihnen spielte und Schokolade und Bonbons an sie verteilte. Das haben alle Mieter übereinstimmend ausgesagt.«
Als ich mich gerade frage, wie die Chambou darauf kam, einen harmlosen alten Knacker zu töten, läutet Murats Handy. Er lauscht, ohne zu antworten, während er mich anblickt und den Kopf hin und her wiegt.
»Jetzt wissen wir, wie sie ihm die Käsepitta hat zukommen lassen. Sie hat den Kuchen nicht hierhergebracht, sondern im Geschäft des Opfers abgegeben.«
»Und Kemal hat sie mit nach Hause genommen, um sich das Kochen zu sparen.«
»Ganz genau.«
Das mag ja alles stimmen, trotzdem bleibt die Frage bestehen: Warum sollte sie einen Türken töten? Sie musste ihn jedenfalls gut gekannt haben, wenn sie ihn in seinem Geschäft besuchte.
»Können Sie mir einen Gefallen tun? Erkundigen Sie sich diskret bei den Mietern danach, ob dieser Kemal irgendetwas mit Istanbuler Griechen zu tun hatte.«
Er liest sofort meine Gedanken. »Sie fragen sich, warum ein Türke ihr Opfer wurde?«
»Ja, genau. Ich gehe dann mal nach unten«, sage ich. »Dieser Gestank ist unerträglich.«
Ich nehme gleich zwei Treppenstufen auf einmal, um mich so schnell wie möglich vom Herd der Geruchsbelästigung zu entfernen, während Murat sich daranmacht, von Tür zu Tür zu gehen.
Unten sind die beiden Polizeibeamten aus dem Streifenwagen gestiegen, rauchen und unterhalten sich leise. Mich grüßen sie mit einem Kopfnicken. Der eine öffnet mir freundlich den hinteren Wagenschlag, doch ich bedeute ihm, dass ich mir lieber die Beine vertrete.
Ich spaziere den Bürgersteig entlang. Die Geschäfte hier sind stilvoller als in Pera. Ich zähle zwei Mobilfunkläden, zwei Modegeschäfte - eines für Herren- und eines für Damenkonfektion - und einen Laden, der Fernseher, Fotoapparate und Computer im Angebot hat. Die Handyläden und das Elektronikfachgeschäft sehen aus wie bei uns in Griechenland, und die Modegeschäfte erinnern an die Ermou-Straße in den siebziger Jahren, bevor sie von den Einkaufsstraßen der Athener Vororte in den Schatten gestellt
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