Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
montiert gerade mit Klebeband ein handgeschriebenes Hinweisschild an die Eingangstür, die er daraufhin von innen versperrt. Vermutlich ist darauf der klassische Spruch »Wegen Trauerfalls geschlossen« zu lesen.
Murat zieht die obere Etage vor, wahrscheinlich um in Ruhe seine Befragungen vorzunehmen, und beginnt zunächst mit den weiblichen Angestellten. Haargenau dieselbe Taktik wie wir, sage ich mir. Du knöpfst dir die Frauen zuerst vor, zum Teil weil sie offener sind, zum Teil weil sie schneller einknicken, wenn man Druck ausübt. Aus ihren Gesten jedenfalls errate ich, dass keine der Angestellten vollkommen ahnungslos ist. Alle haben etwas zu erzählen, und des Öfteren unterbrechen sie einander, um etwas zu korrigieren oder zu ergänzen.
Nach zehn Minuten komme ich zum Schluss, dass es wenig Sinn macht, dem Mienenspiel und Gestikulieren der Zeugen zu folgen, und ich tauche ein in die bunte Warenwelt, wie man so schön sagt. Mir kommt der Gedanke, ein Mitbringsel für Katerina zu kaufen, doch erstaunt stelle ich fest, dass ich keine Ahnung habe, was ihr Geschmack ist. Jedes Mal, wenn wir ihr etwas schenken, kümmert sich Adriani darum und erachtet es als überflüssig, mich einzubeziehen. So nehme ich lieber Abstand davon, denn ich fürchte, ich schenke ihr vielleicht etwas, das sie dann in die unterste Schublade ihres Kleiderschranks stopft.
Murat hat die Vernehmung des Personals beendet und geht mit einem »Let's go« an mir vorüber. Ich folge ihm die Treppe hinunter und warte, bis der Angestellte die Tür aufschließt und uns wieder hinauslässt.
»Die alte Frau ist an einem Nachmittag vor fünf Tagen vorbeigekommen. Die Beschreibung stimmt mit der des Arztes in Baloukli überein. Sie schien erschöpft, zog die Füße ein wenig nach und hatte Hustenanfälle. Sie fragte, ob Herr Kemal hier sei. Doch der war kurz weggegangen, und die Chambou sagte, sie würde auf ihn warten. Sie hielt eine Plastiktüte in der Hand.«
»Die Käsepitta.«
»Offenbar.«
»Stand auf der Plastiktüte irgendein Hinweis, vielleicht ein Name oder eine Adresse?«
Er sieht mich einen Augenblick lang verlegen an. »Daran habe ich nicht gedacht. Ich frage gleich noch mal nach.«
Er geht zum Modegeschäft zurück und klopft an die Fensterscheibe der Eingangstür. Er wechselt ein paar Worte mit der Angestellten, die ihm geöffnet hat. Sie dreht den Kopf nach hinten ins Geschäft und fragt etwas. Dann vergehen etwa zwei Minuten, und Murat kehrt zum Streifenwagen zurück.
»Dem Personal ist nur aufgefallen, dass auf der Tüte das türkische Wort für Supermarkt stand.«
»Das hilft uns nicht viel weiter. Supermärkte gibt es wie Sand am Meer.«
»Nicht bei uns. In den ärmeren Vierteln kaufen die Leute immer noch beim...« Er sucht nach der englischen Vokabel, wird nicht fündig und setzt die türkische an ihre Stelle: »... beim bakkal ein.«
»Der Krämer heißt bei uns auch bakalis«, bestätige ich, und wir müssen lachen.
»Man kauft beim bakkal ein, weil man bei ihm noch anschreiben lassen kann. Dass sie die Käsepitta in einer Supermarkttüte bei sich trägt, heißt demnach, dass sie in keinem ärmlichen Viertel wohnt.«
»Außer, sie hat die Tüte irgendwo aufgelesen.« »Nicht auszuschließen, obwohl Hausfrauen ihre Einkaufstüten normalerweise aufbewahren.«
»Hat sie Kemal schließlich persönlich angetroffen, oder hat sie ihm die Käsepitta einfach nur dagelassen?«
»Sie hat mit ihm gesprochen. Als Erdemoglu zurückkam, War sie noch da. Anfangs hat er sie nicht erkannt. Dann aber, als der Name eines gewissen Lefteris fiel, konnte er sich erinnern, wobei den Leuten hier nicht klar ist, ob er sich an Lefteris oder an die Chambou erinnerte. Höchstwahrscheinlich hat ihm der Männername etwas gesagt.«
»Ist sie lange geblieben?«
»Gerade mal fünf Minuten. Sie haben zwischen Tür und Angel ein paar Worte gewechselt, dann hat sie ihm die Käsepitta übergeben und ist gegangen.«
»Hat denn jemand daran gedacht, bei Erdemoglu anzurufen, als er am nächsten Tag nicht im Laden erschienen ist?«
»Er wollte seinen Sohn in Ankara besuchen, deshalb hat sich niemand Gedanken gemacht.«
Ich zerbreche mir den Kopf, ob mir im Lauf der Ermittlungen irgendein Lefteris untergekommen ist. Nachdem ich mich kurz besonnen habe, bin ich mir sicher, dass ich den Namen zum ersten Mal höre. Für alle Fälle frage ich auch bei Murat nach, ob er
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