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Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau

Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau

Titel: Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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sie mir an den Kopf.
      »Mister Haritos, a visitor is waiting for you in the lobby.« Während ich aufstehe, denke ich zuerst an Murat und wappne mich innerlich gegen schlechte Neuigkeiten.
      »Denk dran, dass gleich Frau Kourtidou vorbeikommt, um mit uns eine Spazierfahrt auf dem Bosporus zu unternehmen.«
      Doch ich ignoriere sie und gehe in die Lobby. Meine Augen suchen nach Murat, doch es ist die Lazaridou, die mich hat rufen lassen. Sie sitzt vis-ä-vis der Rezeption auf dem äußersten Rand eines Sessels - mit flachen Schuhen, schwarzen Strümpfen und zusammengepressten Beinen.
      »Frau Lazaridou, was machen Sie denn hier?«, frage ich verdutzt.
      Sie stützt sich auf die Sessellehnen und hievt sich etappenweise hoch. »Mir ist etwas eingefallen, aber ich wollte es Ihnen nicht am Telefon erzählen. Wissen Sie, ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, und wenn ich lange am Telefon spreche, komme ich immer durcheinander«, ergänzt sie entschuldigend.
      »Kommen Sie, setzen wir uns und unterhalten uns in aller Ruhe.«
      Ich führe sie in die Cafeteria, die gleich neben der Rezeption liegt - Ich vermute, dass sie etwas Wichtiges zu erzählen hat, wenn sie persönlich hierherkommt, und meine gute Laune kehrt zurück.
      »Darf ich Sie zu etwas einladen?«
      »Nein, nein, nur keine Umstände. Ich habe schon zu Hause einen Tee getrunken.« Ich bedränge sie nicht und lasse ihr Zeit, ihre Gedanken zu ordnen. »Wissen Sie, seit vorgestern, als Sie mir sagten, ich solle noch einmal darüber nachdenken, habe ich versucht, mich an eine Geschichte zu erinnern, die mir Maria über varlik vergisi erzählt hat.«
      »Was ist das? Meinen Sie die Vermögenssteuer?«, frage ich.
      »Ja, die Steuer, die Inönü im Jahr '42 den Minderheiten auferlegt hat.« Ich kann mir noch keinen Reim auf diese Erklärung machen, deshalb warte ich darauf, dass sie fortfährt. »Maria hat damals bei der Familie Dagdelen gearbeitet. Herr Dagdelen konnte die Vermögenssteuer nicht bezahlen, und so kam es zur baciz.«
      »Entschuldigen Sie, Frau Lazaridou. Was bedeutet baciz?« Zum ersten Mal seit unserer Ankunft in Istanbul verspüre ich das Bedürfnis nach einem guten Griechisch-Türkisch-Wörterbuch. Wer weiß, vielleicht kaufe ich mir noch eins vor meiner Abreise.
      »Wie sagt man bei euch dazu?« Die Lazaridou plagt sich mit der Erläuterung des Begriffs. »Also, wenn man nicht zahlen kann und einem alles, aber auch alles, was man besitzt, weggenommen wird.«
      »Pfändung?«
      »Ja, genau. Wenn du nicht zahlen konntest, wurden zunächst einmal alle deine Sachen gepfändet und dann in deiner eigenen Wohnung versteigert. Die Türken kamen zu dir nach Hause und haben sich vor deinen Augen alles für einen Pappenstiel unter den Nagel gerissen. Dagdelen konnte die Steuer nicht bezahlen, und so kam alles unter den Hammer. Ich weiß, dass die Türken, die nebenan wohnten, etwas damit zu tun hatten, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, was es war.«
      »Können Sie sich vielleicht erinnern, wo sie gewohnt haben?«
      »In Cihangir, aber wo bloß? Ich weiß noch, dass Maria immer sagte: >Ich gehe jetzt nach Cihangir...<« Sie bemüht sich redlich, jedoch ohne Ergebnis. »Das Alter, Herr Kommissar. Ich bin schon ganz begriffsstutzig, mein Gedächtnis ist zu nichts mehr zu gebrauchen.«
      »Frau Lazaridou, machen Sie sich keine Gedanken. Ich setze die türkische Polizei darauf an.« Die Wahrscheinlichkeit, die Adresse herauszukriegen, ist freilich nach so vielen Jahren minimal. In diesem Fall haben wir wirklich sehr wenig in der Hand...
      Ich erhebe mich, um das Ende der Unterredung anzudeuten und sie nicht weiter zu ermüden. Die Lazaridou jedoch bleibt beharrlich sitzen und denkt nach. »Warten Sie mal, jetzt ist mir etwas eingefallen. Ich erinnere mich, dass ich zu Ostern des Jahres '51 oder vielleicht auch '52, ich kann's nicht beschwören, mit Maria an der Auferstehungsfeier in der Dreifaltigkeitskirche teilgenommen habe, und danach sind wir nicht nach Pera, sondern nach Siraselvi und dann nach Tophane hinuntergegangen. In der ersten Gasse nach dem Deutschen Krankenhaus sagte Maria zu mir: »Genau an dieser Ecke hier hat die Familie Dagdelen gewohnt.< Es war die erste Gasse links, ich erinnere mich ganz deutlich, ich sehe sie noch vor mir.« Sie holt tief Luft und denkt weiter nach. »Aber welche Rolle die türkische Familie aus der Nachbarwohnung spielte, kommt mir nicht in den Sinn.

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