Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
Maria hat es mir erzählt, lieber Herr Kommissar, aber ich weiß es nicht mehr«, sagt sie rechtfertigend, als fürchte sie, ich könnte ihr eine schlechte Zensur verpassen.
»Das macht nichts, Sie haben mir sehr weitergeholfen.«
Höchstwahrscheinlich haben die benachbarten Türken das ganze Hab und Gut dieses Dagdelen für einen Apfel und ein Ei aufgekauft, und Maria trägt es ihnen, wie im Fall von Erdemoglu, bis zum heutigen Tag nach. Wenigstens gibt es jetzt, da wir ihren damaligen Wohnort kennen, einen Anhaltspunkt, um sie ausfindig zu machen. Die Geschichte reicht zwar weit in die Vergangenheit zurück, bis ins Jahr '42, doch wer alte Rechnungen hervorkramt, muss eben vergilbte Bücher durchblättern.
Ich gehe an die Rezeption und bitte darum, auf meine Rechnung ein Taxi zu rufen, das die Lazaridou nach Fener fährt.
»Das ist doch nicht nötig, Herr Kommissar«, protestiert sie, als ich es ihr ankündige. »Ich fahre mit dem Bus. Es gibt gute Verbindungen zwischen dem Taksim-Platz und Fener.«
Die junge Frau an der Rezeption kommt hinter ihrem Tresen hervor, fasst sie am Oberarm, sagt etwas zu ihr, das mit »Hamm efendi« endet, und geleitet sie aus dem Hotel hinaus zum wartenden Taxi.
Ich rufe sofort Murat an und informiere ihn. »This is great!«, ruft er, als ich geendet habe. »You did a wonderful job. Das haben Sie toll hingekriegt. Keine Sorge, bald sehen wir Land.«
»Hauptsache, neue Leichen bleiben uns erspart.«
»Das kann ich nicht garantieren. Ich rufe Sie an, sobald ich Neuigkeiten habe.«
»In Ordnung. Und schönen Gruß an Ihre Frau.«
Er legt mit einem Dankeschön und einem Gegengruß auf. Die Lazaridou ist fort, und die junge Angestellte hat wieder ihren gewohnten Platz eingenommen. Ich werfe ihr ein »Thank you!« zu, als ich in den Speisesaal zurückkehre.
Die Kourtidou und Adriani erwarten mich bereits zur Spazierfahrt. Nebenan können sich die Teilnehmer der Reisegruppe aus Thessaloniki nicht über den Besichtigungsablauf einigen. Bei ihrem Anblick erinnere ich mich schon fast etwas nostalgisch an die Machtkämpfe zwischen Ste-fanakos, Despotopoulos und der Mouratoglou.
* 25
Wir sitzen im Sonnenschein auf dem Oberdeck, und es weht eine leichte Brise, die nach Meer und Benzin duftet. Die beiden Damen haben mich in die Mitte genommen und unterhalten sich über mich hinweg. Gerne würde ich sie nebeneinander platzieren und einige Meter weiter meinen eigenen Gedanken nachhängen, doch die Damen gehören der alten Schule an und rücken stets den Mann in den Mittelpunkt.
Immer wieder kommen mir die Nachbarn der Familie Dagdelen in den Sinn. Ich weiß nicht, ob sie noch leben oder schon tot sind, wo sie sich aufhalten und ob Maria sie bereits gefunden hat. Murat hat sich noch nicht gemeldet, und so sitze ich verständlicherweise auf glühenden Kohlen. Sollte es keinen weiteren Mord geben, könnte ich getrost innerhalb der kommenden Tage nach Athen zurückkehren. Sollte Maria jedoch weitere Überraschungen in petto haben, wird wohl Gikas recht behalten. Dann fahre ich zu Katerinas Hochzeit nach Athen und kehre gleich am nächsten Tag wieder in die »Königin der Städte< zurück.
Ich versuche, die unerfreulichen Gedanken zu verscheuchen und die kleine Bosporustour zu genießen. Das Schiff nähert sich einmal dem europäischen, dann wieder dem asiatischen Ufer, wobei es sich zwischen Lastkähnen und kleinen Ausflugsbooten, aber auch großen Frachtern und Tankern hindurchschlängelt. An jedem Pier steht ein hölzernes, direkt am Meer gelegenes Wartehäuschen. Diese Bauten müssen uralt sein, doch sie wurden renoviert und in auffälligen Farben neu gestrichen, hauptsächlich in der Lieblingsfarbe der türkischen Maler und Anstreicher - in Pistaziengrün.
»Früher, als es die Bosporusbrücken noch nicht gab, wurde der ganze Verkehr zwischen den beiden Istanbuler Ufern per Schiff abgewickelt«, erläutert uns die Kourtidou. »Wollte man nach Moda, Üsküdar oder Kuzkuncuk, musste man den Wasserweg wählen. Durch die Brücken haben sich die Verkehrsverbindungen fraglos vereinfacht, aber die Dampferfahrten waren einfach romantischer«, fügt sie hinzu. »Ganz abgesehen von den Männerrunden, die sich tagtäglich auf derselben Strecke trafen. Nun, das ist lange her...«
Das Schiff legt am Ostufer in der Nähe einer Burg an, die kleiner als die gegenüberliegende byzantinische Festung wirkt. Ich blicke daran vorbei
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