Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
ist verschlossen, doch ein kräftiger Tritt von Murat genügt, um sie aufzustoßen.
Ekliger Gestank schlägt uns entgegen. Wir wechseln einen Blick und wissen beide, was uns erwartet: eine weitere Leiche. Gleich gegenüber der Eingangstür führt eine Treppe in die oberen Etagen. Links liegt eine geschlossene Tür, während ich weiter hinten, neben der Treppe, eine zweite, offenstehende Tür ausmache, von der aus die Küche zu sehen ist. Dorthin wenden wir uns zuerst. Sie blitzt vor Sauberkeit, als hätte jemand vor kurzem ein Großreinemachen veranstaltet. Murat öffnet einen der Küchenschränke.
»Sie haben recht, sie wohnt hier«, sagt er und zieht eine Packung Blätterteig heraus, dann eine Flasche Öl und ein Stück Schafskäse, noch eingeschlagen in das Butterbrotpapier, aus dem nächstgelegenen Lebensmittelladen.
»Noch etwas?«, frage ich.
»Nein.«
»Wir kommen zu spät, sie ist fort.«
»Woher wollen Sie das wissen?«, fragt er mich baff.
»Das Pflanzenschutzmittel fehlt. Sie hat es mitgenommen.«
»Nicht so schnell. Kann sein, dass wir es anderswo finden.«
Kann sein, aber mein Gefühl sagt mir, dass wir weder das Gift noch die Chambou finden werden.
Das Zimmer im vorderen Teil des Erdgeschosses muss vor Zeiten das Wohnzimmer gewesen sein. Nun sind nur mehr ein Tisch und zwei klapprige Stühle davon übrig. Sollte es noch weitere Möbelstücke gegeben haben, was anzunehmen ist, so wurden sie, da keine Erben da waren, von anderen Interessenten in Besitz genommen.
Im ersten Stockwerk liegt nur ein Schlafzimmer. Darin steht ein Doppelbett aus Eisen, und darüber liegt ein Überwurf, der mit hausfraulicher Sorgfalt glattgestrichen wurde.
»Hier hat sie übernachtet«, sagt Murat.
Dem pflichte ich zwar bei, doch meine Aufmerksamkeit richtet sich auf etwas anderes. An der Wand neben dem Bett ist eine Etagere befestigt, auf der zwei verblasste Heiligenikonen stehen. Auf der einen kann ich mit Mühe die Heilige Jungfrau mit dem Kind erkennen, auf der anderen muss ein Heiliger abgebildet sein, dessen weitere Personalien nicht zu eruieren sind. An die Ikonen waren vier Fotografien gelehnt. Die eine zeigt ein in die Kamera lächelndes Paar, die übrigen drei sind Porträts zweier Frauen und eines Mannes. Zwei der Aufnahmen, das Paar und die eine Frau, lehnen am unteren Rand der Marienikone, die anderen beiden, der Mann und die zweite Frau, am unteren Rand der Heiligenikone, während vor den Fotografien ein Öllämpchen brennt.
»Haben Sie eine Ahnung, wer das ist?«, fragt mich Murat.
»Nein, die Gesichter sagen mir nichts.«
Die Leiche befindet sich in der zweiten Etage. Es handelt sich um eine ältere, gepflegte und gutgekleidete Frau. Letzteres ist allerdings eine pure Annahme, da das eingetrocknete Erbrochene ihre Bluse zur Gänze bedeckt. Es bietet sich dasselbe Bild wie bei Kemal Erdemoglu. Die Frau liegt auf einem Diwan, der unter den Fenstern des zweiten Stockwerks steht. Von hier aus kann man in den Vorhof der Kirche blicken. Ich sehe mich im Raum um, aber selbst auf dem in der Mitte stehenden Tisch gibt es keine Reste einer Käsepitta, auch keine benutzten Teller. Die Wohnung ist pieksauber.
»Sie hat alles aufgeräumt«, bemerkt Murat ungläubig.
»So hat sie es ihr Leben lang gemacht. Bei jedem Abschied hat sie stets eine blitzblanke Wohnung hinterlassen.«
Murat befasst sich überhaupt nicht mit dem Opfer, sondern zieht sein Handy hervor und erledigt ein paar Telefonate. Ich brauche kein Türkisch zu können, um zu wissen, dass er die Spurensicherung und die Gerichtsmedizin ruft.
Doch nun überfällt mich plötzlich Panik. Dieser Mord wirft alle meine Pläne über den Haufen, vielleicht verpasse ich die Abreise oder kann nur kurz zur Hochzeit bleiben und muss gleich wieder zurück. Meine erste Sorge ist, dass Katerina enttäuscht sein wird, und meine zweite, dass Adriani zur Furie wird. Und in diesem Fall retten mich auch keine gezinkten Karten, denn die hat die Chambou für sich reserviert.
Möglicherweise ist es dieser Panikattacke geschuldet, dass ich händeringend nach einer Lösung suche. Wie auch immer, jedenfalls beginnt mein Hirn auf Hochtouren zu arbeiten. »Ich möchte, dass Sie die Lazaridou herholen«, sage ich zu Murat und ziehe mein Notizbuch aus der Tasche. »Sie wohnt in der Gimen Sokak in Fener. Der Fahrer, der mich vor ein paar Tagen hingebracht hat, kennt die Adresse.«
Er
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