Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman

Titel: Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Fraser
Vom Netzwerk:
benutzte er es häufig. »Ich bin nicht hysterisch, aber wenn du mir nicht auf der Stelle ganz genau erzählst, was passiert ist, dann werde ich gleich hysterisch!«
    Damit kriegte ich ihn. Jetzt sah er mich aufmerksam an, um meine Stimmung einzuschätzen. Zugegeben, wahrscheinlich stand ich wirklich ganz kurz vor einem hysterischen Anfall, als ich nun seine Nase untersuchte. Er wollte den Kopf wegziehen, aber ich ließ den Finger ganz leicht über seinen Nasenrücken gleiten. Ja, er war eindeutig angeschwollen, aber zum Glück nicht gebrochen - es war bloß ein Bluterguss, ein kräftiger Bluterguss. Unsere Blicke begegneten sich. Ich erkannte, dass Charlie nicht so leicht nachgeben würde. Es war Zeit, schweres Geschütz aufzufahren.
    »Und wenn nicht -« Blitzschnell überlegte ich, welche Drohung ich dieses Mal aus dem Hut zaubern konnte. »- dann mache ich jetzt sofort kehrt, marschiere mit dir in die Schule und sage, dass ich euren Schulleiter sprechen will. Und dann sollst du mal sehen, wie hystérique deine Mutter sein kann!«
    Ich sah das leichte Flackern in seinen Augen. Also wartete ich ab.
    Als er schließlich mit der Sprache rausrückte, musste ich mich näher zu ihm hinbeugen. »Da ist ein Junge in der cinquième.«
    Ich nickte, denn ich erinnerte mich noch gut an die unsympathischen Rowdys, die am ersten Tag höhnisch kichernd am Zaun gestanden hatten. »In dem Jahrgang über dir, oder?«
    »Ja.« Charlie atmete aus. »Er quatscht dauernd rum, dass alle Australier Versager sind und dass ich dahin zurückgehen soll, wo ich hergekommen bin.«
    »Und weiter?«
    »Heute kam ich gerade vom Klo, da stand er mit seinen Freunden direkt vor der Tür und fing wieder an, ›Versager‹ zu rufen.«
    »Warst du allein?«
    Charlie nickte.
    »Der ist ziemlich groß, oder?«
    Er nickte wieder.
    »Hast du ihn verhauen?«
    »Mummmy!« Offenbar hatte ich etwas Lächerliches gesagt, wieder einmal. »Natürlich nicht! Der ist viel zu stark!«
    Ich lächelte. Mein Sohn war kein Dummkopf. »Und was ist dann passiert?«
    »Ich hab gesagt: Fous le camp! Hau ab! Da hat er mich am Pulli gepackt.«
    Ich hielt die Luft an.
    »Und dann hat er mir un coup de boule gegeben.«
    »Was bitte?«
    »Un coup de boule.« Charlie stieß einmal kräftig den Kopf vor, um es mir zu demonstrieren.
    »Was«, rief ich entsetzt, »er hat dich mit dem Kopf gerammt?«
    Aber der Zorn, der in dem Augenblick in mir aufstieg, war gar nichts, gemessen an der Wut, die mich am nächsten Morgen überfiel, als dieser Oberfeldwebel von Schulleiter andeutete, meine Empörung über diesen Vorfall sei vielleicht eine Überreaktion. »das war doch bloß ein ganz normales Gerangel, wie es auf jedem Spielplatz vorkommt.«
    Sein Lächeln war so aufrichtig wie das einer Schlange, als er mich am Ellbogen aus seinem Büro hinaussteuerte. »Franchement, Madame, ne soyez pas hystérique!«
    Das hystérique war es, das mir den Rest gab. Jetzt wusste ich, dass es an der Zeit war, Lherm den Rücken zu kehren.
 
    Als ich in die dritte Klasse ging, bekam ich allein schon bei dem Gedanken, Mr Payne gegenüberzutreten, Magenkrämpfe. Ich krümmte mich vor Schmerzen, Morgen für Morgen schoss es mir glühend heiß durch den Bauch, wenn ich mir voller Angst die Schuluniform über den Kopf zog.
    Folglich wünschte ich mir, nicht in die Schule gehen zu müssen. Ich wünschte es mir so sehr, dass es eines morgens tatsächlich Wirklichkeit wurde. Ich erinnere mich noch, wie Dr. Gruinsite über seine Brille hinweg meine Mutter ansah. Ich saß neben ihm auf seinem riesigen, abgenutzten Schreibtisch und kratzte mit den Fingern nervös auf der Holzplatte herum, während sein Stethoskop kalt auf meinem Bauch lag. »Nur Stress, nichts weiter. Irgendwas macht dem kleinen Fräulein hier Angst.«
    Kaum hatte ich das Wort »nur« gehört und Mamas gebrummtes »Hmm«, da wusste ich, dass ich verloren war.
    »Was macht dir denn Stress?«, fragte sie mich, als wir zurück zum Auto gingen.
    »Die Schule.« Mir liefen die Tränen über die Wangen, so sehr schämte ich mich, dass Dr. Gruinsite nichts Anomales gefunden hatte, nichts, das einen Namen hatte, mit dem ich den anderen Kindern hätte imponieren können - und der bedeutet hätte, dass ich nie mehr zur Schule gemusst hätte, nie, nie wieder.
    Insgeheim hatte ich auf eine Blinddarmentzündung gehofft. Damals hatte ich keine Ahnung, was das war, aber für eine Krankheit klang es ziemlich sensationell, fand ich. Man munkelte, Mary Malloy habe so

Weitere Kostenlose Bücher