Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
und den Stuhl draufgestellt, und dann bin ich hochgeklettert«, antwortete Marc. Dann beobachtete er mich schweigend und zupfte an meiner Haarsträhne, die ihm ins Gesicht gefallen war.
Doch, jetzt erinnerte ich mich. Ich legte mich wieder auf den Rücken und sah nach oben. Marc hatte recht, die Stadt war nicht mehr da. Er hatte Sydney auf meiner Landkarte markiert, hatte nackt auf dem Stuhl gestanden, mit dem Filzstift in der Hand, und versucht, die richtige Stelle zu finden, während ich ihn vom Bett aus dirigiert hatte. Ich hatte gelacht, als er völlig ungehemmt mit den Armen fuchtelte - wie der David von Michelangelo. Er hatte damals keine Ahnung gehabt, wo der Punkt hingehörte; nach allem, was er wusste, hätte er ihn auch ganz oben ins Northern Territory setzen können.
»Du hast mich belogen.« Ich schaute immer noch zur Decke empor.
Marc rührte sich nicht. »Je ne me rappelles plus, tu sais. Es ist schon so lange her. Ich weiß nicht mehr, was ich dir damals eigentlich erzählt habe, Annie.«
Aber ich wusste es noch: J'en avais une. Mais c'est fini maintenant ...
»Ach, wie praktisch!« Ich setzte mich auf, jetzt mit dem Rücken zu ihm, denn er sollte nicht sehen, wie sehr es schmerzte, selbst nach all den Jahren. Obwohl wir erst gestern kurz davor gewesen waren, uns zu trennen, tat es weh. Dieser junge Mann hatte etwas in mir wachgerufen, Erinnerungen an das, was wir zusammen gehabt hatten. Oder wenigstens hatte ich damals geglaubt, wir hätten es.
Meine Kleidungsstücke lagen auf einem Haufen am Fußende des Bettes, wo ich sie abgeworfen hatte, bevor ich das Bewusstsein verlor. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war, denn irgendwo unterwegs war mir meine Uhr abhandengekommen. In Toulouse hatte ich sie noch gehabt, aber dann ... Ich griff nach etwas zum Anziehen und erwischte ein schwarzes, spitzenbesetztes Etwas, einen BH, den ich damals getragen hatte. Was für ein aufreizendes Teil!, dachte ich, während ich mir die Träger über die Schultern streifte und am Verschluss herumfummelte, um herauszufinden, wie er eigentlich geschlossen wurde. Mein Haar, das mir bis auf den Rücken fiel, geriet dazwischen. Ich hatte es schon seit Jahren nicht mehr so lang getragen. Meine Hände hatten den Trick vergessen, diese besondere Bewegung, die alle jungen Frauen beherrschen, um es elegant aus dem Weg zu schnippen.
»Witzig, dass du dich an die Geschichte mit Sydney erinnerst.«
Marc streckte die Hände aus, um mir bei dem Verschluss behilflich zu sein. Solche kniffligen Sachen hatte er immer gut gekonnt. »Im Aufmachen bin ich noch besser«, sagte er. »Annie, t'es sérieuse?« Eine Hand ruhte immer noch warm auf meinem Rücken. »Was spielt das denn jetzt noch für eine Rolle?«
Seine Finger massierten mir sanft den Rücken und arbeiteten sich bis zu meinem Nacken hoch. Ich wünschte mir, er möge nicht aufhören, möge die Hände über meinen ganzen Körper gleiten lassen und die Anspannung wegstreicheln ... und auch die Gedanken an diese Frau.
Aber ich entzog mich ihm. Für mich spielte es immer noch eine Rolle.
»Es war wirklich vorbei, Annie.«
Ich griff nach meinen restlichen Kleidungsstücken. »Lass uns aufstehen!« ich wollte seine Ausreden nicht hören, seine Lügen, jetzt nicht und niemals mehr.
Die Stilettos lagen drüben an der Tür, wo ich sie offensichtlich hingeschleudert hatte, obwohl ich mich nicht daran erinnern konnte. Nein, diese albernen Folterwerkzeuge würde ich nicht anziehen, heute nicht und überhaupt nie wieder. ich würde etwas Praktischeres ausgraben müssen. Hoffentlich gab es irgendetwas in der Richtung im Kleiderschrank.
Ich schüttelte mich. Jetzt dachte ich tatsächlich schon wie meine Mutter.
12
M it dem Rücken zur Tür stand Beattie in ihrem grauen Jogginganzug am Küchenfenster und schaute in den belaubten Innenhof hinunter. Da stand sie immer, wenn sie sich morgens Tee machte, gegen den Spülstein gelehnt. Im hellen Tageslicht fiel mir ihre Figur auf - sie war eine junge Frau mit schmalen Hüften und zierlichen Schultern, noch nicht die reifere Beattie, mit der zusammen auch ich älter geworden war.
An dem Morgen, nachdem ich Marc kennengelernt hatte, hatten Beattie und ich hier in der Küche gestanden und zusammen über seine Stiefel gelacht, während sie am Fenster ihren Tee geschlürft hatte. Aber heute Morgen hatte ich gehofft, wir könnten an ihr vorbeihuschen, ohne dass sie Marc zu Gesicht bekam. Doch sie musste uns in meinem Zimmer gehört haben,
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