Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
während draußen der Regen fiel und winzige Tröpfchen die Fensterscheibe küssten. Mit den Fingerspitzen strich ich über seine immer noch feuchten Lippen. Ich wollte ihn noch einmal küssen, wollte das Salz auf seiner Haut schmecken, seinen Duft einatmen. Und ich schaute ihm ins Gesicht, in die schönen blauen Augen, und sah in den schwarzen Pupillen mein eigenes Gesicht, meine Seele spiegelte sich in seiner, strahlte zu mir zurück.
Frische Sahne rutschte über Äpfel, dicke, warme Scheiben, die auf den Teig gehäuft waren. »Besser als Sex«, sagte ich, während ich mir einen Löffel voll in den Mund schob.
»Ah«, murmelte Marc, während er mit einem Grinsen die Hand über meinen Schenkel gleiten ließ. »On verra.« Das werden wir ja sehen.
Also hatten wir gemeinsam die Metro zurück zu meiner Wohnung genommen - bloß um es zu sehen. Und später in jener Nacht hatte Marc mir von ihr erzählt - von Frédérique. Ich lag auf ihm, die Arme auf seiner Brust gekreuzt. Er fuhr mir mit den Fingern durchs Haar, immer wieder, strich mir über die Kopfhaut, rieb sie, bis sie kribbelte, Wachs in seinen Händen. Ich wünschte mir, dass er weitermachen und nie wieder damit aufhören möge.
»Hast du eine Freundin?«
Mit einem Lächeln zog er mich an den Haaren. »Du bist sehr neugierig.«
Ich kicherte. »Na ja, es ist ja nicht so, als wären wir zwei Fremde, die hier im Bus sitzen.«
Marc schaute mir in die Augen - ohne ein Zucken, ohne einen Blick zur Seite. »J'en avais une. Mais c' est fini maintenant.«
Ich hatte eine, aber das ist jetzt vorbei. Das waren seine Worte. Das ist jetzt vorbei. Seltsam, ich hatte das damals als Tatsache betrachtet - dass sie Weg war.
»Aber es war wirklich vorbei, Annie. Wir waren nicht mehr zusammen, pas comme ça, nicht wie Mann und Frau«, behauptet Marc gern.
Warum also stand sie dann da in seinem Wohnzimmer und hatte außer einem hautengen, bauchfreien T-Shirt nichts am Leib?
Die Wahrheit über meinen Vater erfuhr ich erst mit neunzehn. Zu der Zeit redeten Mummy und ich längst nicht mehr miteinander. Wahrend meiner gesamten Teenagerjahre hatten wir uns gestritten und gezankt, waren aneinandergeraten und zusammengerasselt wie Autoscooter auf dem Jahrmarkt, bis wir dann schließlich eines Tages, als ich achtzehn war und gerade meinen Schulabschluss machte, gar nicht mehr miteinander sprachen. Ihre Lebenseinstellung »Lächeln und Durchhalten« war für mich zu einem Joch geworden. daher packte ich, als ich von meiner Prüfung in Geschichte der antike, meiner letzten, nach Hause kam, meine Tasche und ging - für immer.
Nachdem ich meine Reisetasche geschlossen und die Haustür hinter mir zugeknallt hatte, hatte ich das Gefühl, dass meine Mutter ziemlich erleichtert war, mich von hinten zu sehen.
»Deine Mutter ist nicht immer so gewesen, Annie«, eröffnete meine Großmutter mir dann irgendwann.
Der schöne Mann auf dem Foto und meine Mutter hatten sich eines Abends in die Haare gekriegt. Sie hatte den Vormittag in der Stadt verbracht, mit Einkaufen. Es war einer dieser mörderisch heißen Tage, daher machte sie eine Pause und holte sich an einem Eiswagen, der an der Kreuzung von Pitt und Market Street parkte, ein Vanilleeis. Während sie so mitten im Getriebe der Großstadt stand, fühlte sie sich glücklich und unbeschwert - verliebt. Sie war jung, erst einundzwanzig, und hatte vor kurzem geheiratet.
Daher lächelte meine Mutter, als sie plötzlich durch die Menschenscharen hindurch in einem Coffee Shop gegenüber meinen Vater entdeckte. Sie hatte überhaupt nicht damit gerechnet, ihn in der Stadt zu treffen, daher war es eine freudige Überraschung. Den ganzen Vormittag hatte sie an ihn gedacht.
Erst als sie sich anschickte, die Straße zu überqueren, wobei sie ihm mit ihrem Eis zuwinkte, bemerkte sie die junge Frau, die ihm Knie an Knie gegenübersaß.
Als mein Vater an jenem Abend von der Arbeit nach Hause kam, sagte sie ihm, er solle gehen - einfach seine Sachen packen und verschwinden. Er flehte sie immer wieder an: »Es ist nicht so, wie du denkst!« Aber meine Mutter hörte nicht zu. Sie wollte seine Ausreden nicht hören.
Da verließ er das Haus, sogar ohne vorher zu packen. Er kommt wieder, dachte sie. Er kommt wieder und entschuldigt sich. Aber er kehrte nie mehr zurück.
Als die Polizei erschien und meiner Mutter von dem Unfall berichtete, brach sie in der Tür zusammen. Es war zu befürchten, dass sie ihr Baby verlieren würde. das geschah aber
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