Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
Rückblick, habe ich es wohl endlich akzeptiert.
Charlie hatte, wie sie damals sagten, »nur eine Chance von eins zu einer Million« gehabt - er war mein Wunderkind.
13
M ontag war nie mein Tag gewesen, aber dieser war wirklich die Hölle. Am Sonntag hatten wir beide uns einfach treiben lassen. Aber der Montag schlug voll zu. Sechs Uhr morgens, der Himmel war grauviolett, als hätte ein Tintenfisch seine dicke Brühe vor mein Zimmerfenster gespritzt. Während wir noch nebeneinanderlagen, war mir, als dränge die trübe Flüssigkeit auch in mein Denken ein. Mach, dass es dabei bleibt!, dachte ich. Wenn die Zeit tatsächlich stehen geblieben ist, dann mach, dass es hier zu Ende ist. Ich wollte nicht zur Arbeit gehen, wollte nicht da weitermachen, wo ich am Freitag aufgehört hatte, bevor Marc und ich uns das erste mal begegnet waren.
»Ich kann das nicht«, flüsterte ich.
»Uns bleibt nichts anderes übrig«, sagte Marc mit Grabesstimme, was nicht gerade hilfreich war.
Er hatte nicht geschlafen - das merkte ich an seiner Stimme und daran, dass er wie tot neben mir lag, flach auf dem Rücken, mit einem Arm über den Augen. Allerdings war er schon immer ein Morgenmuffel gewesen, und dieses mal hatte er wohl auch allen Grund dazu. Ich mochte mir nicht ausmalen, wie er in seine Wohnung zurückfuhr und vielleicht mit ihr sprach, während er sich für die Arbeit umzog. Hoffentlich hatte sie inzwischen wenigstens etwas zum Anziehen gefunden.
»Sag was Nettes!« Ich strich mit den Fingerspitzen über seine bloße Brust, spürte seine straffe Haut. »Sag etwas, was uns da durchhilft.«
»Ça ira. Wir schaffen das«, murmelte er lahm. »Denk einfach nicht darüber nach!«
Aber das half mir auch nicht. Er stand in der Tür meines Zimmers und war im Begriff zu gehen, er wollte mich hier allein lassen. Geh nicht Weg!, hätte ich am liebsten gesagt, während ich zu ihm trat. Vielleicht würde ich ihn nie wiedersehen, vielleicht würden wir nie wieder zusammentreffen, wir drei.
»Wollen wir uns im Julien treffen?«
Marc schaute mir in die Augen, sein Blick war sanft, so sanft wie Charlies Blick. Ob er unseren Sohn auch sehen konnte, irgendwo in meinem Gesicht? Wo war Charlie jetzt?
»Ich bestelle für halb acht einen Tisch.«
Ich nickte, denn ich dachte: Ja, das hilft. Und als ich Marcs Gesicht streichelte, dieses junge, offene Gesicht, erinnerte ich mich wieder an das sanfte Lächeln in seinen Augen, als er mich im Kitty über die Bar hinweg angeschaut hatte oder über den Tisch im Deux Magots an jenem Freitag nach unserer ersten Begegnung ... und dann am Morgen danach. Sein Gesicht schwebte über mir, als ich aufwachte, die blauen Augen, das schwarze Haar. Es war unser erstes Mal gewesen, unsere erste gemeinsame Nacht, berauscht vom Champagner und der Tarte Tatin im Deux Magots, trunken vor Leidenschaft.
»Ich möchte, dass du meine Freunde kennenlernst«, hatte Marc gesagt. »Und ich möchte, dass sie dich kennenlernen. Ce soir.«
Er klang so überzeugt. Ich weiß noch, dass ich nach dem Glas neben dem Bett griff und dabei überlegte, wie lange er mich wohl schon so angeschaut hatte. Hatte ich mit offenem Mund geschlafen?
»Ob sie mich mögen werden?«
»Non. Sie werden dich 'assen.« Er streichelte meine Wange. »Man sollte sich vor dem Schlafengehen immer das Gesicht waschen, non?«
Im Bad schrie ich mein Spiegelbild an, das mit schwarzen Schmierflecken unter den Augen zurückbrüllte. Ich hörte, wie Marc, der noch im Bett lag, lachte. Sein wunderbares tiefes Lachen drang durch die Wand, ging mir unter die Haut.
Es hatte mich voll erwischt, von Anfang an.
Zu der Party an jenem Abend war ich erst spät erschienen. Lauter cool aussehende Leute standen in gedämpftem Licht in einem verräucherten Wohnzimmer herum. In einer Ecke saß eine Frau auf einem Sofa, zierlich wie eine Elfe hockte sie auf dem Rand, die Haare ganz kurz geschnitten zu einer schicken, frechen Jungenfrisur. ich befühlte mein eigenes Haar und schob nervös die Strähnen zurück, die sich gelöst hatten, denn plötzlich kam ich mir sehr altmodisch vor. Die Elfe sprach mit einem Mann, der neben ihr saß. Er trug seine Schirmmütze verkehrt herum auf dem Kopf. Sie lachte über etwas, was er ihr ins Ohr geflüstert hatte, warf dabei den Kopf zurück und hielt elegant ihre Zigarette. Um diesen Chic und die Blasiertheit beneidete ich die Französinnen.
Ich kannte niemanden, niemanden außer Marc, aber den konnte ich nirgends entdecken. Er
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