Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
die Hände gedrückt. »Wie meinst du das?« Er strich mir über die Wange. »Dumme, seltsame Anna! Wie kannst du das wissen, bevor du es ausgepackt hast?«
»Ich will keine Geschenke - ich will keine Geschenke mehr, Carlo.«
Ich hatte Marc kennengelernt.
Und Carlo hatte genickt, das Päckchen mit enttäuschtem Blick wieder an sich genommen und es schweigend in seine Aktentasche gesteckt. Er hatte mich verstanden. Jedenfalls glaubte ich das.
Nach dem Unterricht fand ich das Geschenk in meinem Fach. Es war die Uhr.
Ich war spät dran. Der Tag war lang gewesen - acht Stunden Unterricht. Wie gesagt, unterrichten kann ich im Schlaf, aber nach diesem ersten Montag in meinem alten Leben fühlte ich mich keineswegs ausgeschlafen, sondern war fix und fertig.
Was ich empfand, während ich die schwere Glastür aufschob, lässt sich nur schwer beschreiben, ohne dass es nach Barbara Cartland klingt. Schon eilte der Oberkellner mit einem breiten Lächeln herbei, hielt mir die Tür auf und führte mich ins Julien. Paris ist einfach romantisch. Und was Pariser Restaurants angeht, ist das Julien mit seinen rubinroten Samtportieren am Eingang und dem schummrig beleuchteten Speisesaal ein Paradebeispiel für das Ambiente in den französischen Klassikern, wo Liebespaare sich über die Tische hinweg anschmachten. Dort hatten wir uns nach der Arbeit immer sehr gern getroffen. Wie sollte ich mich da nicht gleich viel besser fühlen? Diese Kulisse belebte mich so, dass ich eine Gänsehaut bekam. Ja, mir war tatsächlich, als würde ich eine Bühne betreten und in einer Szene mitwirken, die wir schon oft aufgeführt hatten, so vertraut waren mir das Klappern des schweren Tafelsilbers auf Porzellan und die Stimmen, die mir in den Ohren hallten. Während ich zwischen den Tischen hindurch auf Marc zusteuerte, klangen sie wie die Stimmen von Geistern, die uns zu unserer Rückkehr mit Applaus begrüßten.
Mit dem Rücken zur Wand saß er in der Ecke an unserem Lieblingstisch, unter einem der grandiosen alten Spiegel. In dem fleckigen, angelaufenen Glas hatten sich einst verschwommen Bilder von uns beiden gespiegelt, zwischen anderen Liebespaaren, die aßen, sich küssten und zusammen crème caramel verzehrten, während die Kellner in langen weißen Schürzen zwischen den Tischen hin und her huschten, Eimerchen mit Eis und silberne Tabletts trugen und mit exakt gefalteten weißen Servietten über dem Arm Champagner einschenkten.
Sie waren alle noch da.
Marc hatte mich bemerkt und beobachtete lächelnd, wie der Oberkellner mir aus dem Mantel half. Als die Garderobenfrau damit verschwand, kam mir flüchtig der Gedanke, dass wir es vielleicht doch zusammen schaffen könnten. Vielleicht würden wir das hier durchstehen und Charlie schließlich irgendwie finden.
Ich hatte mir heute Abend Mühe gegeben, hatte ein längst vergessenes Kleid angezogen, das ich in meinem Schrank entdeckt hatte - ganz zufällig, denn ich hatte es damals weit hinten versteckt, und zwar absichtlich. Als ich es hervorzog, blieb mir die Luft Weg, denn ich erinnerte mich wieder. Es war wunderschön, aus weichem Seidenjersey, ein Geschenk von Carlo, das ich jedoch nie getragen hatte. Ich fuhr mit den Händen über den dunklen, glatten Stoff, schob es hinunter und strich es über den Hüften glatt. Es saß wie eine zweite Haut. Ich betrachtete die junge Frau im Spiegel, hob mein Haar im Nacken an und dachte an das dumme Ding, das ich damals gewesen war - zu gehemmt, um mir meiner Vorzüge bewusst zu sein. Eines Abends hatte Carlo mir dieses Kleid überreicht, verpackt in einer weißen, mit einem seidenen Band zugebundenen Schachtel, die an sich schon erlesen war. So ein Geschenk hatte ich noch nie bekommen. Und als ich das Band aufzog und den Deckel abhob, lag es vor mir wie eine zarte, wogende Welle aus Stoff, in Seidenpapier gehüllt und noch einmal zugebunden. Das war zu viel. Es passte nicht zu mir.
»Du solltest es deiner Frau schenken«, flüsterte ich.
»Ach, Anna!«
Ich hatte es nie angezogen, weder für ihn noch für Marc. Bis heute Abend.
Als ich näher kam, stand Marc auf, schob den Tisch fort und trat zur Seite, damit ich mich auf seinen Stuhl setzen konnte, auf meinen Platz, von dem aus ich das Restaurant überblicken konnte. Er wirkte froh, überrascht.
»An das Kleid erinnere ich mich gar nicht mehr. Und dein Haar ...« Marc strich mir mit den Lippen übers Ohr, reiner Zufall, und mein Po berührte seine Hüften, während ich mich an ihm vorbei auf
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