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Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman

Titel: Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Fraser
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Säulen, die sie umstehen, erschienen mir wie riesige, stämmige Soldaten. Wir kamen oft nach der Arbeit hierher, auf dem Weg zur Metro. Beattie blieb dann plötzlich an der Ecke stehen und legte mir die Hand auf den arm.
    »Warte mal. Lass uns noch eine Kerze anzünden!«
    An diesem Dienstag aber, diesem endlosen Dienstag, an dem ich mich mit schwerem Herzen gefragt hatte, ob das nun alles sein sollte, ob das von nun an die Gegenwart war und Charlie bloß eine Erinnerung bleiben würde, hatte beattie, als ich abends das Lehrerzimmer betrat, schon beschlossen, wo wir hinwollten.
    »Du siehst schrecklich aus«, sagte sie, als wir nach unseren Mänteln und Handtaschen griffen. »Lass uns eine Kerze anzünden!«
    Ich brauchte mehr als eine Kerze. Ich brauchte ein Wunder.
    Es war lange her, dass ich eine Münze in das alte Kästchen gesteckt hatte. »Je mehr, desto besser«, wie Beattie immer sagte. In einem hölzernen Regal lagen Schachteln mit nach Vanille duftenden Kerzen - unzählige Schachteln, in denen die Kerzen sorgfältig gestapelt waren, nach Länge und Preis sortiert. Dort suchten wir unsere Kerzen aus.
    »Und wer kann wissen, ob ich mir eine große Kerze nehme, aber nur zwanzig Centimes dafür bezahle?«, hatte ich Beattie scherzhaft gefragt, als sie mich das erste Mal in die Kirche mitgenommen hatte.
    »Er weiß es.« Sie hob den Blick in die gewaltige, mit Fresken ausgemalte Kuppel hoch über uns. »Und, was noch schlimmer ist, ich weiß es. Also bezahl richtig!«
    Hier standen wir also wieder, fünfzehn Jahre später, vor dem Kandelaber in La Madeleine. Zum letzten Mal hatte ich an meinem Hochzeitstag vor so einem Ding gestanden, in Sydney. Nach der Trauung hatte ich mich dorthin verzogen, allein, denn ich hatte etwas zu erledigen.
    »Zünde eine Kerze für mich an!«, hatte Beattie gesagt. »Zünde an deinem Hochzeitstag eine Kerze an, um deine Seele zu retten, in der größten Kirche, die du in dem gottverlassenen Land finden kannst.« Also war ich ganz allein in die Kathedrale Saint Mary verschwunden, um eine Kerze anzuzünden. Für Beattie.
    Aber jetzt, in dem flackernden Licht, sah Beattie ein wenig diabolisch aus. Sie hielt ihre Kerze umklammert. Die tanzenden Schatten ließen ihre Augenhöhlen tiefer wirken, und ihre dichten Locken umgaben ihren Kopf wie ein feuriger Heiligenschein.
    »Okay, Annie, was willst du dir denn wünschen?«
    »Nein.« Lächelnd hielt ich die Kerze an eine andere, die bereits auf dem Ständer brannte. Ich beobachtete, wie der Docht sich entzündete. »Wenn ich es dir sage, trifft es nicht ein.«
    Charlie.
    Seine Kerze überragte alle anderen, das Flämmchen schwebte hoch oben wie ein Stern auf einem Weihnachtsbaum. Diesmal hatte ich viel Geld ausgegeben.
    Wir gingen durch die Kirche zurück, als Beattie plötzlich stehen blieb und mich am Ellbogen festhielt. »Warte mal ...«
    Er stand im Schatten des Kirchenschiffes und lächelte uns von seinem Postament herunter zu wie ein alter Freund. Der heilige Antonius von Padua, in Stein gehauen - er war Beatties Lieblingsheiliger, ihr Schutzpatron für Verlorenes. »Er kann alles für dich wiederfinden«, hatte sie mir erklärt.
    Ich kannte die Worte auswendig: »Heiliger Antonius, vollkommener Nachfolger Jesu Christi, der du von Gott die besondere Kraft empfangen hast, Verlorenes zurückzuholen, gib, dass ich.«
    Ich konnte die Worte in meinem Kopf hören, ich hörte sie von den Wänden widerhallen, als Beattie meinen Arm nahm. Gib, dass ich ihn wiederfinde ...
    Immer und immer wieder wünschte ich mir Charlie zurück.

26
 
    A uch als ich mit Marc nach Australien zurückgekehrt war, hielten Beattie und ich engen Kontakt. Wir schrieben uns lange Briefe, fast wie Tagebucheintragungen, gekritzelte, nur für Eingeweihte verständliche Gedanken über unser Leben: mein Leben zu Hause in Sydney, Beatties Leben in Frankreich, unsere Männer, ihre ärgerlichen Angewohnheiten (endlose Listen), Charlies Geburt, ein Jahr später dann die Geburt ihres Sohnes Seamus - und mit wie vielen Stichen wir genäht werden mussten. Bei mir waren es weniger, aber dafür war Beatties Bauch angeblich schneller wieder flach geworden, was mir eigentlich lieber gewesen wäre, wie ich zugeben muss.
    »Ich vermisse dich, Annie«, schrieb Beattie. »Komm zurück! Alles ist vergeben und vergessen!«
    Ihre Scherze.
    Und als wir sie einmal mit Charlie besuchten - damals war er noch ein Baby -, taufte sie ihn, während wir ihn in ihrer großen alten Wanne badeten.

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