Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
irrationaler Widerspruch. Das ist etwas Neues, etwas, mit dem ich heute Morgen aufgewacht bin, als läge ein Sonnenstrahl auf meinem Kopfkissen. Ich fühle mich wie früher als Mädchen, wenn ich erwachte und merkte, dass ich mich über irgendetwas freute, aber vergessen hatte, was es war. Weihnachten vielleicht? Oder mein Geburtstag?
Mir wird klar, dass ich glücklich bin, einfach glücklich - über letzte Nacht. Etwas ist geschehen: Ich habe es in Marcs Augen gesehen, in seinen Berührungen gespürt. Doch Schluss jetzt mit dieser »ekligen Gefühlsduselei«, wie Charlie es nennen würde! Meine Mutter hatte recht, wenn sie sagte: »Annie MacIntyre, du bist wirklich eine hoffnungslose Romantikerin.«
Ja, ich bin einfach glücklich, ohne einen bestimmten Grund - mein ganzer Körper singt, er widersetzt sich meinem Verstand.
Während ich in die Rue des Lyanes abbiege, in unsere Straße, erinnere ich mich an eine andere Situation, in der ich dieses berauschende Summen spürte, dieses Gefühl, dass die Welt einfach eine funkelnde Oase der Freude ist, die darauf wartet, entdeckt zu werden. Eigentlich will ich jetzt gar nicht daran denken, aber ich kann nicht anders. Es war damals, als ich bei Doktor Hardy gewesen war, weil ich gedacht hatte, ich hätte mir einen Mageninfekt zugezogen. Aber das war natürlich nicht der Fall. Ich war schwanger. Ich weiß noch, wie ich auf der Fahrt nach Hause alle, die das Pech hatten, auf gleicher Höhe mit mir zu fahren, wie eine Blöde angrinste. Jetzt umklammere ich das Lenkrad fester und beschließe, im Moment einmal nicht an Charlie zu denken.
Heute Morgen will ich glücklich sein, einfach nur glücklich.
Ich biege in eine Nebenstraße ein und schnappe mir einen Parkplatz hinter unserem Mietshaus. ich möchte nicht, dass Beattie mich am Steuer eines Autos sieht. Sie würde denken, ich wäre komplett verrückt geworden. Vom Hauseingang aus kann ich ihr Schlafzimmerfenster sehen. Die Rollläden sind geschlossen, ein gutes Zeichen. Ich schaue auf die Uhr - erst halb sieben. Beattie war noch nie eine Frühaufsteherin, schon gar nicht am Sonntagmorgen. Ich fahre mit dem Aufzug in die zweite Etage, betrete leise die Wohnung und schlüpfe wieder aus den Schuhen.
Ich gleiche einem Schatten, husche hinein und hinaus wie der Sandmann, während die Welt schläft.
Wie eine Einbrecherin schleiche ich durch unsere Wohnung. Ich sammle meinen Schmuckkasten aus angelaufenem Messing, Haarspangen, Lippenstifte, eine Nachricht von Carlo, Briefe aus Australien, Fotos ein - und stopfe alles in meine Sporttasche. Mit meinem Zimmer fange ich an, dann arbeite ich mich durch das Wohnzimmer. Als ich mich gerade daranmachen will, das Bad zu durchsuchen, höre ich Beatties Zimmertür. Ich ziehe mich zurück, gehe hinter der Wohnzimmerwand in Deckung. Ich möchte sie jetzt nicht sehen, nicht in dieser Situation. Ich möchte es ihr draußen irgendwo in aller Ruhe bei einem Kaffee erklären. Jemand tappt auf den Flur hinaus, Richtung Bad. Aber das ist nicht Beattie. Es ist ein Mann - das erkenne ich an seinem Husten, der tief aus der Kehle kommt. Mit einem Lächeln denke ich: Da ist er ja, ihr geheimnisvoller Liebhaber. Dieses Mal hat sie ihn also mitgebracht, weil sie dachte, ich wäre nicht da. Sie hat meinen Zettel gelesen.
Ich luge hinter der Ecke hervor. Er hat mir den Rücken zugekehrt und öffnet gerade die Badezimmertür. Splitterfasernackt. Wie betäubt starre ich auf seinen bloßen Rücken, auf seinen Po, auf die Silhouette seiner Hoden, seinen baumelnden Penis, als er sich dreht und um die Ecke greift, um das Licht anzuknipsen. Die Türöffnung rahmt ihn ein. ich bin fassungslos. das Herz wird mir schwer. Diesen Mann kenne ich, er ist mir sehr vertraut. Seine majestätische Anmut, seine imposante Gestalt - ein griechischer Gott.
Er schließt die Tür hinter sich. Ich habe ihn nur kurz gesehen, aber ich weiß Bescheid. Ich habe ihn erkannt.
Carlo.
30
W ie eine Besessene rase ich durch Paris, schäumend vor Wut. Ich trete zu hart aufs Gas, wenn die Ampeln auf Grün umspringen, endlich - ich schlage mit der Hand auf die Hupe, haue aufs Lenkrad, fluche laut. Das Gefühl der heiteren Gelassenheit hat mich genauso schnell verlassen, wie es in mir erwacht war. Ich stelle mir Carlo vor, male mir aus, was die beiden zusammen in der Wohnung treiben - wie sie sich lieben, duschen, die Spuren ihres Beisammenseins abwaschen. Benutzt er etwa meine Sachen, mein Shampoo, meinen Kamm? Rubbelt er sich mit
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