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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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fuhr den Herzogsfreudenweg entlang und bog in die Heidegartenstraße ein. Den Mann sollte ich im Auge behalten, dachte sie. Wer war das? Was wollte er im Gemeindehaus? Kam er aus der Gegend oder von weiter her? Wenn sie ihm einen Vorsprung ließ, konnte er im Dunkeln, mit den blendenden Scheinwerfern im Rückspiegel, kaum merken, wer hinter ihm war. Was konnte ihr passieren? Selbst das kleinste Auto umgab seine Fahrerin wie ein Schutzpanzer.
    Hinter der Ecke sah sie den Wagen wieder vor sich. Der Abstand war groß, sie gab mehr Gas. Der Fiesta kam ihr mit einem Mal ziemlich schräg vor. Als ob er rechts tiefer läge als links. Das kennt man ja, sagte sie sich, die alten Fahrbahnen sind ein wenig gewölbt.
    Sie bog hinter dem Mercedes in die Reichsstraße ein. Hier war die Fahrbahn vor nicht allzu langer Zeit frisch asphaltiert worden, trotzdem lag der Wagen schief. An dem Kreisel mit der Abzweigung nach Ippendorf erschien ihr das wieder ganz natürlich, weil er zur Mitte hin überhöht war.
    Jenseits des Kreisels, wo nur noch Bäume und Felder die Reichsstraße säumten, beschleunigte der Mercedes. Möglich, dass der Mann zur Autobahn fuhr oder ins Bonner Zentrum. Pilar gab Gas.
    Von draußen vernahm sie Geräusche. Sie wurden lauter, beunruhigend laut. Der Fiesta neigte sich stärker. Pilar lenkte ihn an den Straßenrand. Der Wagen holperte dicht an einem Baum vorbei. Kurz vor dem nächsten Stamm kam er zum Stehen, während der Mercedes hinter der Kurve verschwand.
    Pilar stieg aus, ging um die Kühlerhaube herum und sah die Bescherung: Der rechte Vorderreifen hing zerknautscht um die Radkappe herum. Einer der neuen Winterreifen, knapp drei Wochen alt. Na großartig. Sie nahm das Warndreieck aus dem Kofferraum und kramte ihr Handy hervor, um Richard anzurufen. Zwar hatte er mal in ihrem Beisein einen Reifen gewechselt, aber sie hatte vergessen, wie es ging. Sie tippte die ersten Ziffern ihrer Festnetznummer ein. Und löschte sie wieder. Vermutlich saß Richy jetzt mit den Jungs beim Essen und würde sich bedanken, wenn er für seine Frau, die einfach abgehauen war, auch noch den Reifen wechseln sollte. Sie wählte die Nummer des ADAC , die auf der Adressliste ihres Handys zuoberst stand.
    Auf den Mechaniker musste Pilar einige Zeit warten. Sie fror erbärmlich. Von Westen zogen düstere Wolken heran, umgaben den Mond mit zerfetzten Schleiern und hüllten ihn schließlich ein. Eine Weile schimmerte er als heller Fleck dahinter, später verschluckten die Wolken ihn ganz. Windböen schüttelten die Baumkronen und fuhren Pilar in die Haare. Auf ihrer Jacke landeten vereinzelte weiße Flocken. Sie setzte sich wieder ins Auto und schob ihre klammen Hände in die Taschen ihrer Jacke. Man soll immer eine warme Decke im Auto haben, dachte sie, und ich trage eine Sommerjacke und habe nicht mal Handschuhe dabei.
    Andere Fahrzeuge brausten vorüber, neugierige Beifahrer schauten durch die Seitenfenster. Pilar fühlte sich schutzlos. Als Vera einmal nachts eine Autopanne gehabt hatte, war sie nur knapp einem Gewalttäter entkommen. Er hatte sich als Helfer angeboten, sie dann aber von hinten gepackt. Daraufhin hatten Vera und Pilar beschlossen, gemeinsam einen Selbstverteidigungskurs zu besuchen. Und es bald wieder vergessen.
    Pilar zuckte zusammen, als hinter ihr ein Wagen hielt. Im Rückspiegel erkannte sie das Gelb mit der vertrauten Aufschrift. Sie stieg aus. Ein junger Mann in Jeans und kariertem Flanellhemd sprang aus dem Wagen und sang vor sich hin. »Steht ein Pferd auf dem Flur … ’n Abend! Hat leider was länger gedauert. Panne hinter Rheinbach, da schneit es wie verrückt. Was haben Sie hier Schönes für mich?«
    Sie deutete auf den Gummilappen, der auf der Hinfahrt noch ihr neuer Reifen gewesen war. Der Mechaniker ging in die Hocke und knipste seine Taschenlampe an. Er stieß einen Pfiff aus. Pilar sah seine Finger im Gummi verschwinden.
    »Aufgeschlitzt, das gute Stück. Mit einem scharfen Messer. Gleich zweimal. Sehen Sie das? Hier und hier. Tief und gründlich. Da hat Ihnen jemand übel mitgespielt. Hatten wir lange nicht mehr. Ist ein bisschen aus der Mode gekommen. Meistens sind es Jugendliche, die ihre neuen Messerchen testen wollen.« Er stand auf. »Machen wir den Reservereifen drauf. Morgen fahren Sie zum Reifenhaus und besorgen sich was Neues. Alles klar?«
    »Alles klar«, sagte Pilar.
    Was aber nicht klar war, war viel wichtiger: Wer hatte es getan? Welche Jugendlichen kamen in Frage? Die Waldclique?

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