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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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Halbwahrheiten retten.
    »Max, ich glaube, einer aus der Gruppe hat den Kasten weggebracht.«
    Er zog die Stirn in Falten und blickte sie zum ersten Mal an. »Wer macht denn so was?«
    »Hast du nichts gemerkt?«
    »Ich hab nur darauf gewartet, dass es endlich losgeht.«
    Pilar stellte sich die Gruppe vor: Aufgeregt waren sie gewesen, nervös. Wenn einer von ihnen die Kiste in den Saal getragen hätte, müssten die anderen das nicht zwangsläufig gemerkt haben. Hatte es überhaupt einen Zweck, auch noch Anna und Sarah zu befragen? Einerseits war Pilar die Sache leid, andererseits wollte sie wissen, welche Variante ihr die beiden Mädchen auftischten.
    Anna wohnte ein Stück oberhalb der alten Hubertuskapelle in Ückesdorf. Das Fachwerk-Kirchlein aus dem 18.   Jahrhundert erinnerte Pilar wieder einmal daran, dass ihr Wohnort, der überwiegend aus neueren Einfamilienhäusern bestand, eine Geschichte hatte, die weit zurückreichte. »Uckenestorp« hieß er in einer Urkunde aus dem Jahr 1133, was sich aus dem fränkischen Personennamen »Uckin« oder »Uko« herleitete – das hatte ihr der alte Herr Zoppert erzählt, der einen Vortrag zu dem Thema »Die Franken im Rheinland« besucht hatte. Pilar hätte gern gewusst, was für ein Mensch dieser Franke gewesen war, dem der Ort den Namen verdankte, bei dessen Nennung mancher Auswärtige fragte: Was für’n Dorf? Hat das was mit Acker zu tun?
    In dem kleinen Garten neben dem Haus der Familie Brond stapelten sich unter einem Kunststoffdach die verschiedensten Dinge, die wohl für den Sperrmüll bestimmt waren. In einem zerbeulten Schirmständer bohrte sich das Zielrohr eines kleinen Panzers durch die zerrissene Bespannung eines Tennisschlägers, und aus einer zerdrückten Reisetasche hing eine überlebensgroße Gummiratte ohne Kopf. Zwischen Kisten und Säcken ragten die Beine und Lehnen verblichener Gartenstühle aus Kunststoff, zerfledderte Regenschirme und Teile von Lattenrosten auf. Die Bronds schienen ihren Keller gründlich entrümpelt zu haben. Den Abholtermin für Sperrmüll hatten sie allerdings versäumt, der war am vergangenen Montag gewesen.
    Die Tür ging auf, als Pilar die Hand zum Klingelknopf hob. Anna stand kauend vor ihr, im Arm eine geöffnete Riesentüte Kartoffelchips. Sie hatten die gleiche Farbe wie ihre Haare, deren Spitzen in die Tüte hineinhingen.
    »Anna, ich suche meinen gelben Handwerkskasten. Weißt du zufällig –«
    »Nicht gesehen.« Anna schüttelte mehrmals den Kopf hin und her.
    Rostrote Chipskrümel fielen vor ihr auf die grauen Fliesen. Anna zerdrückte sie mit dem Fuß. Hinter ihr tauchte Sarahs brauner Lockenkopf auf. Sarah schob ihr Handy in die Tasche ihrer engen Jeans, lehnte sich lässig gegen die Wand und sagte mit Blick zum Spiegel:
    »Den hattest du nicht mit im Gemeindehaus.«
    Heiße Wut überkam Pilar. Sie zischte die Mädchen so scharf an, dass sie das Gefühl hatte, Funken zu sprühen.
    »Und wer hat meine Katze angefahren? Sie wäre fast gestorben!«
    Sarah zuckte zusammen, Anna wich zurück in den Flur.
    »Das wissen wir nicht!«, rief Sarah.
    »War es derselbe, der euch gesagt hat, ihr sollt mich anlügen?«, wetterte Pilar. »Derselbe, der den Kasten von euch haben wollte und das Messer rausgeholt hat, um es der Frau Holzbeisser ins Herz zu stoßen?«
    Sarah gab der Tür einen Tritt, dass sie zuflog.
    »Ihr kennt ihn!«, fauchte Pilar das braune Holz an. »Ihr wisst was! Und es macht euch fertig!«
    Sie wandte sich um und stieg die vier Stufen, die zur Haustür führten, hinab. Als sie auf die unterste Stufe trat, wurde hinter ihr die Tür aufgerissen.
    »Haben Sie nichts Besseres zu tun, als unsere Kinder zu beschimpfen?«, brüllte eine Männerstimme. »Reicht es nicht, dass Sie uns die Polizei auf den Hals gehetzt haben?«
    Pilar drehte sich um. Es war Annas Vater, ein untersetzter Mann um die fünfzig mit einem glatten runden Gesicht, von dem sie bisher angenommen hatte, es könne nur freundlich dreinschauen. Jetzt war es dunkelrosa angelaufen und zu der Maske eines bösartigen Gnoms verzerrt.
    »Was habe ich?«, fragte Pilar mit mühsam beherrschter Stimme. Jetzt bloß nicht zurückschreien.
    »Am Sonntag war die Polizei hier!«, rief Herr Brond. »Wir hatten Gäste, meinen Chef und seine Frau, eine Gräfin. Der Braten wurde kalt, das Soufflé war zum Teufel, und peinlich war es obendrein! Ich bedanke mich recht herzlich bei Ihnen!«
    »Dafür kann ich doch –«
    »Bei den anderen waren sie auch. Aber die

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