Kottenforst
noch so schwarzhaarig wäre wie vor fünfundzwanzig Jahren, als Richard sie in einem Café am Kaiserplatz angesprochen hatte. Ihr Haar habe genau die Farbe seines Kaffees, hatte er gesagt – woraus ein gemeinsames Kaffeetrinken entstanden war, das der Beziehung zu seiner damaligen Freundin ein Ende gesetzt hatte.
»Jetzt muss ich ins Geschäft, Senta braucht mich.« Frau Fischmann verabschiedete sich und eilte die Straße hinunter.
Pilar hatte den Gehstreifen noch nicht vom Schnee befreit. Vor dem Nachbarhaus dagegen war er perfekt geräumt, als hätte Herr Winter ein Lineal zur Hilfe genommen, um krumme Linien zu vermeiden. In Fellstiefeln und Pelzmütze bearbeitete er gerade die Schneeränder mit einem kleinen Spaten. Er grüßte Frau Fischmann und warf Pilar einen mürrischen Blick zu. Nicht mal an Schneeschippen denkt sie , hieß das wohl, und er hatte recht. Sie dachte immer noch nicht daran, sondern hoffte, dass die dünne Schneedecke von selbst verschwände. Es war relativ warm, sie schwitzte unter ihrem Wollschal.
»Jetzt kann man sich aufs Frühjahr freuen!«, rief Herr Winter, als Pilar sich umdrehen wollte, um die Straße hinaufzugehen.
»Das dauert noch was«, meinte Pilar, erstaunt darüber, dass der Nachbar sie auf diese Weise ansprach.
»Ich sag das nur wegen der Beete. Die werden wieder Freude machen, weil die schwarze Katze tot ist.«
Pilar ballte die Fäuste in den Taschen ihrer Jacke. Hatte er etwa …? Woher sollte er sonst wissen, dass Schiller tot war?
»Ich habe Ihren Freund gesehen, wie er das Grab geschaufelt hat. Einen Meter sieben hinter meinem Zaun, ich habe nachgemessen. Am Montag rufe ich das Ordnungsamt an und frage, ob ich das dulden muss.«
Pilar presste die Lippen fest zusammen. Sonst wäre ihr eine Bemerkung herausgeflutscht, die sie umgehend bereut hätte. Winter musste seinen Kopf tief in die Thujahecke geschoben haben, um sehen zu können, was Freddy tat. Sie warf dem Nachbarn einen kalten Blick zu und wandte sich um. War er Schillers Mörder? Frau Holzbeissers Mörder? Sie dachte an den Kamelhaarmantel, den er Samstagabend im Saal über dem Arm getragen hatte. Wäre er dreist genug, mit dem Kasten darunter an der Polizei vorbeizugehen? Hätte er es fertiggebracht, ihren Garten zu betreten, den Spaten zu nehmen und den Kater zu erschlagen? Möglich, aber unwahrscheinlich. Winter war eher ein Mann der großen Klappe als der Tat.
Nachdem Pilar um die beiden Ecken gebogen war, die ihre Straße von der Parallelstraße trennten, erblickte sie bald die Front des großen Hauses, von dem ihr bisher nur die Gartenseite vertraut war. Es wirkte sehr gepflegt und leuchtete im Weiß seines makellosen Verputzes, des breiten Garagentors und der Kiesstreifen rundherum. Längs des Weges aus roten Klinkern, der zu einer weiß lackierten Haustür führte, standen in Plastik gehüllte Rosenstöcke. Der Schnee war beiseitegeräumt und links und rechts zu einem ordentlichen Wulst aufgeschüttet.
Vor dem Nachbarhaus lud ein Mann Sprudelkästen in ein Auto. Dort wohnten entweder die Besitzer des Hundes oder der Hecke, von denen Katie gesprochen hatte. Der Mann nickte ihr freundlich zu. »Suchen Sie was?«
Pilar wurde bewusst, dass sie stehen geblieben war. »Ich passe nur auf, weil es glatt ist«, erwiderte sie.
Katies Verdächtigungen waren lächerlich. Dagegen erschien es ihr mit einem Mal sinnvoll, sich den Ehemann der ermordeten Frau anzusehen. Sie brauchte sich nicht als Leiterin der Theatergruppe zu erkennen zu geben, es ließ sich als nachbarlicher Beileidsbesuch tarnen. Was konnte es schaden?
Pilar drückte auf den Klingelknopf unter dem glänzenden Messingschild. »Elke und Dirk Holzbeisser«. An der Tür hing ein Kranz aus Tannenzweigen, garniert mit roten Taftschleifen und pummeligen Holzengeln, von denen jeder ein goldenes Musikinstrument trug. Pilar erkannte eine Harfe, eine Querflöte und eine Geige, während sie im Haus gedämpfte Schritte in unregelmäßigem Rhythmus hörte.
Zitronenduft wehte ihr entgegen, als die Tür sich öffnete. Es konnte noch nicht lange her sein, dass die hellgrauen Fliesen mit Zitronenreiniger gewischt worden waren. Die Fußleiste glänzte feucht.
»Guten Tag«, sagte Pilar. »Mein Name ist Müller. Ich wohne ein paar Häuser weiter, wir kennen uns noch nicht, und ich möchte …«
Sie erstarrte. Das Gesicht vor ihr, das im ersten Moment nur erstaunt gewirkt hatte, verfinsterte sich. Hauptsache, du bist ehrlich, hörte sie ihre Mutter
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