Kottenforst
nicht nur seine Frau, sondern schon seine Mutter das Bettzeug im Freien gelüftet, nun brauchte er samstags gelüftetes Bettzeug wie sonntags sein weiches Ei und hing es trotz seiner Trauer eigenhändig über die Brüstung. Dritter Gedanke: Es war doch eine Frau gewesen. Putzfrau, Schwester, Mutter, Schwiegermutter oder Geliebte … Richy würde die Nase rümpfen: Wer denkt sich so was bei Bettzeug? Du bist wie deine Mutter! – Was in diesem Fall sogar stimmte.
Aber Richy schlief noch. Sie konnte dort drüben vorbeischlendern, ohne seinen Kommentar befürchten zu müssen. Aber auch ohne neue Erkenntnisse zu gewinnen, falls an der Vorderseite des Hauses nichts weiter zu sehen war als eine Fensterfront mit gepflegten Stores …
Der Kater war ein paar Meter vorgerückt und beobachtete eine Amsel, die über die Terrasse hüpfte. Pilar beugte sich zu ihm hinab und streichelte ihn. Jetzt nahm sie ein Scharren und Kratzen wahr, das von draußen kam. Auf der Straße schippte jemand Schnee. Gut möglich, dass sie vor den Häusern drüben jemanden antreffen würde!
Sie schloss die Terrassentür und lief in die Diele. Schal, Jacke, Handschuhe, Schlüssel, halt, nicht in Hausschuhen, die Winterstiefel an und los! Du hast einen Knall , hörte sie Richard schon sagen, spielst du jetzt Detektiv? Auch Damian und Lukas würden mit Spott nicht sparen, wenn sie wüssten, was ihre Mutter umtrieb. Sie wollte mehr erfahren, irgendwie. Frau Holzbeissers Mörder konnte der Mörder ihres Katers sein.
Als Pilar auf die Straße trat, hörte sie von der Ecke her eine helle Frauenstimme jemandem etwas zurufen. Im nächsten Moment sah sie glänzendes Blondhaar über einem Mantel aus lindgrünem Tuch, der bei jedem Schritt in Wellen um schlanke Beine schlug. Frau Fischmann. Sie winkte Professor Dobbel zu, der mit seinem Jupp in der Querstraße an einer Laterne stand, wo der Dackel eines seiner kurzen Hinterbeine hob.
»Schönes Wochenende, Hans-Christian!«
Der alte Herr winkte ab, als erhoffte er sich vom Wochenende nicht das Geringste, und zog den Dackel weiter. Pilar fiel auf, dass seine Körperhaltung für sein Alter, er war sicher bald achtzig, erstaunlich straff war. Dass Frau Fischmann ihn beim Vornamen nannte, konnte von Dobbels literarischem Zirkel im Gemeindehaus herrühren, der, wie sie gehört hatte, eingeschlafen war, weil der Professor die Teilnehmer hartnäckig mit seinen Monologen gelangweilt hatte.
»Hallo«, sagte Pilar, als Frau Fischmann in ihre Richtung blickte.
Lächelnd blieb sie vor Pilar stehen. Obwohl sie nur halbhohe Absätze trug, war sie einen Kopf größer als Pilar. In letzter Zeit halte ich mich schlecht, dachte Pilar, das kostet weitere Zentimeter. Doch ehe Frau Fischmann sich wieder in Bewegung setzte, musste die Frage heraus, die ihr im Kopf herumspukte.
»Sie sind letzten Samstag ja verspätet am Gemeindehaus gewesen, Frau Fischmann. Haben Sie zufällig gesehen, wer herauskam, bevor die Polizei anrückte?«
Sie schien nicht überrascht. »Das haben mich auch die Polizisten gefragt. Aber so ein Mörder geht nicht einfach über die Straße, das kann er nicht riskieren, nicht wahr?«
Pilar erwiderte nichts, weil Herr Brond in einer grauen Daunenjacke, die seinen Oberkörper wie aufgepumpt wirken ließ, mit einer Tüte Brötchen vorbeiging. Er öffnete seinen kleinen Mund, was ihm Ähnlichkeit mit einem Karpfen verlieh. Pilar fürchtete schon, er wolle sie anmeckern wie vor seinem Haus, aber er murmelte nur einen verschwommenen Gruß.
»Wäre das für den Täter nicht am unauffälligsten gewesen?«, fragte Pilar, als er sich entfernt hatte. »Einfach wie ein normaler Zuschauer herauszukommen?«
Frau Fischmann stieß ein kurzes Lachen aus. »Ja, warum nicht? Die Leute, die ich gesehen habe, konnte man mit ihren Schirmen und Kapuzen in der Dunkelheit ohnehin kaum erkennen, zum Teil hielten sie die Gesichter gesenkt, wegen des Regens. Als die Polizeiwagen eintrafen, sind einige Anwohner gekommen und wollten von mir wissen, was los ist, aber ich wusste ja selbst nichts.« Sie verzog ihren korallenroten Mund zu einem traurigen Lächeln und blickte zu Boden. Dabei fiel ihr offenbar das welke Blatt auf, das sich an der Zierschnalle ihrer Stiefelette verfangen hatte. Sie beugte sich hinunter und zupfte es weg.
Pilar bemerkte die schneeweißen Haarwurzeln an Frau Fischmanns Scheitel. Das Blondhaar musste nachgefärbt werden. Sie selbst würde sich auch für Farbe aus der Tube entscheiden, wenn sie nicht immer
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