Kottenforst
auf.
»Was ist?« Vera trat neben Pilar ans Fenster.
Der Wagen fuhr einen Schlenker über den Fußgängerstreifen und verschwand mit quietschenden Reifen um die Ecke.
»Derselbe!«, schrie Pilar. »Absichtlich!«
Vera stürzte zur Haustür. Pilar sah sie über die Straße hasten. Am Rande des Vorgartens, wo die Katze gesessen hatte, bückte sie sich, steckte den Arm in einen Strauch und drückte die Äste nieder. Etwas Langgestrecktes, Schwarz-Weißes schoss hervor und verschwand zwei Vorgärten weiter im Gebüsch. Pilar atmete auf. Vera kam durch die offen stehende Tür zurück ins Haus.
»Die Katze scheint okay zu sein«, keuchte sie. »Was für ein Ekel!«
»Die Katze?«
»Niklas! Hast du ihn nicht erkannt?«
»Ich habe nur auf das Auto geachtet.«
»Das war der Golf seiner Mutter.«
Pilar stutzte. Niklas? Der Fahrradunfall fiel ihr ein. »Dann ist er es gewesen, der Goethe angefahren hat! Und er hat Schiller umgebracht. Das ist seine Rache. Er dachte, die Schwarz-Weiße gehört mir auch.«
Vera legte die Hand auf Pilars Arm. »Vermutlich ist es anders. Er macht Jagd auf alle Katzen.«
»Alle? Ist das schon allgemein bekannt?« Pilar packte die Wut. »Und niemand tut etwas dagegen? Niemand stellt ihn zur Rede oder zeigt ihn an?«
Vera zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nichts Genaues und habe es vorher nie gesehen. Wahrscheinlich nehmen die Leute Rücksicht auf seine Mutter.«
»Vera, der Junge ist erwachsen!«
»Senta hasst Katzen, das hat sie mir selbst erzählt.«
»Weil sie Vögel töten und in Beete scheißen?«
»Ihr älterer Sohn war gegen Katzen allergisch.«
»Senta Bindelang hat noch einen Sohn?«
»Sie hatte. Der Ältere ist tot.«
»Seit wann?«
»Ihr habt noch nicht hier gewohnt, Pilar. Er ist mit fünf Jahren gestorben.«
»Oh nein …«
»Senta hatte gerade eine neue Tagesmutter, und die hielt in ihrer Wohnung vier oder fünf Katzen. Der Kleine war begeistert von den Tieren. Der Anfall muss rasend schnell gekommen sein. Von der Allergie hat vorher niemand etwas gewusst.«
Das war ja furchtbar, Pilar konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen als den Verlust des eigenen Kindes. Obwohl sie die Inhaberin des Schreibwarenladens nicht besonders leiden konnte, hätte sie Senta Bindelang jetzt am liebsten fest und lange in ihre Arme geschlossen.
Vera setzte sich wieder an den Tisch, Pilar nahm den Stuhl ihr gegenüber.
»Senta ist es danach sehr schlecht gegangen«, fuhr Vera fort. »Sie war lange in einer Klinik. Als sie entlassen wurde, hat sich ihr Mann von ihr getrennt. Da ist sie ein zweites Mal zusammengebrochen.«
Daher der bittere Zug in Sentas Gesicht, die herabhängenden Mundwinkel, die sich so selten zu einem Lächeln hoben. Pilar hörte die Geschichte zum ersten Mal. Sie hatte Senta Bindelang vor Jahren auf einem Grillfest kennengelernt, als sie noch nicht den Schreibwarenladen betrieb. Von Anfang an hatte sie so gewirkt, als verberge sie etwas. Vielleicht bestand ihr Geheimnis allein darin, dass sie mit dem Vergangenen nicht fertig wurde.
»Seit sie den Laden hat, scheint es ihr besser zu gehen, auch wenn böse Zungen behaupten, ihr bester Freund sei der Flachmann.«
»Und gegen Frau Holzbeisser war niemand aus der Familie allergisch?«, fragte Pilar. »Senta und Niklas standen im Gemeindehaus fast neben ihr.«
»Was sollten sie gegen die Holzbeisser haben? Niklas hat sein Abi längst in der Tasche und einen Studienplatz an einer Fachhochschule, frag mich nicht, welche. Er studiert Maschinenbau oder so was Ähnliches.«
»Wenn er nichts mit dem Mord zu tun hat, wie kommt er dann an meinen Kasten? Er hat ihn als Katzensarg benutzt!«
Vera schüttelte den Kopf. »Das passt nicht zu Niklas, einen toten Kater ordentlich wegzupacken. Eher wäre es seiner Mutter zuzutrauen.«
»Senta Bindelang schleicht sich in ihrem braunen Steppmantel auf unsere Terrasse und stellt mir den Kasten mit dem toten Kater hin? Kannst du dir das vorstellen?«
»Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie Senta an den Kasten gekommen wäre.«
»Jedenfalls unternehme ich was gegen Niklas«, beschloss Pilar. »Jagd auf alle Katzen – das muss sich ändern.«
»Warte ab, Pilar. Deine schwarze Katze kann ein anderer auf dem Gewissen haben.«
»Aber Goethes Bein –« Das Klingeln an der Haustür unterbrach sie.
Vera stand auf. »Bleib sitzen, Pilar, ich regele das.«
Pilar hörte, wie Vera die Tür öffnete und jemanden ins Haus ließ. War das nötig? Es ärgerte Pilar.
»Ich will aber
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