Kottenforst
nicht stören«, sagte ein Mann in der Diele.
Pilar erkannte die Stimme. Unschlüssig, ob ihr der Besuch angenehm war oder nicht, erhob sie sich und sah Dirk Holzbeisser auf sich zukommen.
»Sie haben einen Unfall erlitten, habe ich gehört. Vielleicht bietet Ihnen dieses Buch ein wenig Trost, Frau Scholz-hm …«
»Álvarez-Scholz.«
Er reichte ihr ein flaches Büchlein, das eine rote Schleife zierte. Reiter-Comics, in denen lustige kleine Reiter von lustigen dicken Pferden abgeworfen wurden. Pilar machte sich nichts aus Comics, aber sie war gerührt. Es war erst zwei Tage her, dass er sie zurechtgewiesen hatte, und nun klang seine Stimme so warm, als hätte er ihr längst verziehen. Pilar fand ihn plötzlich ungeheuer sympathisch.
»Ich wünsche von Herzen gute Besserung für die lädierten Knochen und das erschütterte Gehirn.«
Er lächelte Pilar an. Ein gutes warmes Lächeln, links und rechts mit Grübchen garniert.
Pilar war irritiert. Hatte sie ihn nicht vorgestern abscheulich und ungeheuer verdächtig gefunden? Warum war ihr Urteil so schwankend? Da kam einer mit einem Geschenk, einem Lächeln und guten Wünschen, und schon änderte sie ihre Meinung. Sie wusste doch, dass man das alles spielen konnte, mit ein wenig Talent.
»Ich koch dann mal Kaffee«, sagte Vera.
»Übrigens heiße ich Dirk.«
»Ich …« Pilar hätte es gern bei den Nachnamen belassen, fand aber keine Worte, um es höflich auszudrücken. »Ich heiße Pilar.«
»Interessanter Name.«
»Mein Vater war Spanier, das ist alles.«
»Sie sind – du bist in Spanien aufgewachsen?«
» No , ich meine, nein, hier in Bonn. In der Südstadt. Mein Vater war Korrespondent bei einer spanischen Zeitung. Als wir noch Hauptstadt waren.«
Pilar nutzte die gute Stimmung zwischen ihnen, um Holzbeisser ihr Verhalten vom Samstag zu erklären. Weil nichts dagegenzusprechen schien, erzählte sie auch das Übrige, das ihr widerfahren war.
»Sonderbar«, sagte er, nachdem er mit gerunzelter Stirn zugehört hatte, ohne sie zu unterbrechen.
Pilar hätte sich eine inhaltsreichere Stellungnahme gewünscht.
Vera grinste breit, als sie einige Minuten später die Tür hinter Holzbeisser geschlossen hatte.
»Verzeih mir, Pilar, dass ich hier geblieben bin, aber es war zu spannend. Der Mann sieht gut aus, du siehst gut aus …«
»Mit dem Hexenbuckel unter der Bluse?« Sie waren auf dem Weg zurück in die Küche. Pilar warf im Vorbeigehen einen Blick in den Spiegel. Wenn man wenigstens erkennen könnte, dass es kein echter Buckel war, sondern nur ein Verband! »Vera, es war ein Krankenbesuch.«
»Bei dem du ihn in dem Glauben gelassen hast, bei dir seien mindestens fünf Körperteile kaputt. Als er ging, hast du sogar gehinkt.«
»Ich wollte nur dem allgemeinen Tratsch entsprechen.«
»Halt. Ich hab’s!«
Vera nahm das Stövchen für die Teekanne vom Küchentisch und befingerte das massive Glas. Dass sie immer an irgendetwas herumfummeln musste!
»Hör zu, Pilar: Eine Frau ist scharf auf Holzbeisser und hat die Gattin aus dem Weg geräumt.«
»Oder räumen lassen.«
»Um nun festzustellen, dass er sich für die rassige Pilar interessiert!«
Pilar musste lachen. »Was für ein Kitsch!«
»Hast du kein besseres Argument dagegen?«
»Würdest du einen Killer engagieren, um den Mann zu bekommen?«
»Klar.« Vera drehte das Stövchen um. Das Teelicht fiel aus der Vertiefung und rollte über den Tisch. »Wenn ich nicht so einen anstrengenden Beruf hätte, dass ich abends todmüde ins Bett falle, und nicht hundert verschiedene Hobbys und Interessen – wer weiß?«
»Gibt es nicht Männer, die einfacher zu kriegen sind?«
»Mit Anfang fünfzig?« Das Stövchen fiel auf die Tischplatte wie ein Stein. »Man wird älter. Da kommen nicht mehr viele Chancen.«
Pilar strich über die Kerbe, die das schwere Glas im Holz hinterlassen hatte. »Frauen werden selten zu Mörderinnen.«
»Wer sagt das?«
»Stand in der Zeitung.«
»Ich glaub’s nicht. Es kommt nur seltener heraus. Frauen sind raffinierter als Männer.« Vera lachte. »Aber vielleicht war es doch der Mann. Eine Ehescheidung ist lästig und teuer.«
»Holzbeisser kann sich eine Scheidung leisten. Sieh dir das Haus an.«
»Das Haus kann im Alleineigentum seiner Frau gestanden haben. Oder er hat spekuliert und ist hoch verschuldet. Niemand hat ihn am Tatabend gesehen. Angeblich hat er zu Hause gesessen und gelesen. Zeugen gibt es dafür nicht. Er kann im Dunkeln in den Saal gekommen
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