KR159 - Ich kannte den Mörder
langsam die Fingernägel meiner rechten Hand am Rockaufschlag. Dabei sagte ich leise:
»Ich habe mich noch nie von einem Gangster duzen lassen, ohne ihm bei passender Gelegenheit beizubringen, wie sich ein Gentleman zu benehmen hat. Das gilt für alle, auch für Mitglieder der Borton-Gang! Schreibt es euch hinter die Ohren. Und jetzt habe ich die Nase gestrichen voll von euch!«
Ohne sie noch eines Blickes zu würdigen, drückte ich die Klinke hinunter, öffnete die Tür und ging. Hinter mir hörte ich den Kleinen fürchterlich fluchen, aber ich war mit meinen Gedanken schon bei einigen Neuigkeiten, die mir der Zwerg trotz allem verraten hatte.
Langsam begann sich das Dunkel um einen gewissen Borton zu lichten. Die letzten Aufschlüsse erhoffte ich von meinem nächtlichen Besuch bei der Tänzerin. Aber bis dahin sollte sich noch einiges ereignen…
***
Als ich in das Haupthaus zurückkam, hatten sich alle Gäste in den unteren Räumen versammelt. Im Musikzimmer, das durch doppelt gepolsterte Türen schalldicht von den übrigen Räumen abgesperrt war, hatten sich einige Musikfreunde Platten mit Schubert-Liedern aus der reichhaltigen Sammlung des Hausherrn herausgesucht. Ich wollte nicht stören und schlich mich auf Zehenspitzen wieder hinaus, nachdem ich festgestellt hatte, wer sich alles im Musikzimmer aufhielt. Es waren die Damen Brook, Copperfield und Horace. Außerdem hatte sich Dr. Werking selbstvergessen und weltentrückt in einem riesigen Ungetüm von Armsessel niedergelassen. Ich störte die andächtige Gesellschaft nicht und verschwand lautlos.
Im Speisesaal hatten die Diener die Tafel zur Seite gerückt, so daß Mister Hotcher mit Miß Schuman eine geradezu ideale Tanzfläche besaß. Aus einem Plattenspieler kam gedämpfte Tangomusik, und die beiden waren so sehr in ihren Tanz vertieft, daß ich auch hier nicht stören wollte und mich ins Rauchzimmer begab, wo Mister Morris bei einem alten schottischen Whisky und einer guten Zigarre mit dem Flugzeugfabrikanten Lewieson eine Partie Whist spielte.
»Hallo, Cotton! Sie unglücklicher Pulverfabrikant!« rief Lewieson mir lachend zu. »Trinken Sie ’nen anständigen echten Schotten mit uns. Ich hab’ genug vom Spiel.«
»Kann ich mir denken«, zwinkerte Morris mir zu. »Er verliert nämlich eine Partie nach der anderen!«
»Danke«, sagte ich. »Wenn Sie nichts dagegen haben, komme ich in ein paar Minuten wieder zurück. Ich habe einen kleinen Spaziergang gemacht, weil ich hoffte, die frische Luft würde meine Kopfschmerzen vertreiben. Dabei hat mich der Regen draußen ein bißchen erwischt. Ich will nur eben eine andere Jacke anziehen.«
»Tun Sie das«, nickte mir Morris zu, »sonst könnten Sie sich erkälten. Um diese Jahreszeit muß man vorsichtig sein.«
Ich nickte und ging die Treppe hinauf. Sie war breit geschwungen und hatte in ihrer Mitte einen Absatz. Ich war erst ein paar Stufen hinaufgestiegen, als ich oben im Korridor ein seltsames Geräusch hörte, das sich wie ein unterdrücktes Stöhnen anhörte. Gleich darauf vernahm ich ein dumpfes Poltern. Ich lauschte einen Augenblick, aber jetzt blieb alles still.
Mit großen Sätzen jagte ich die Treppe hoch und bog in den Korridor ein. Etwa in der Mitte des Flures lag der Diener Tom. Ich rannte hin. Erst als ich ihn vorsichtig herumdrehte, sah ich den Griff des Dolches, der aus seiner Brust herausragte. Rings um die Einstichstelle hatte sich das Jackett dunkel gefärbt. Er lebte noch, aber es war auf den ersten Blick zu sehen, daß er es keine Viertelstunde mehr machen würde. Sein Gesicht hatte schon dieses wachsgelbe Aussehen, das den nahenden Tod ankündigt.
Ich bückte mich schnell und hob ihn auf. Mit dem Ellenbogen stieß ich unsere Tür auf und trug ihn in unser Zimmer. Phil sah mich erschrocken an.
»Dr. Werking sitzt im Musikzimmer. Hol ihn herauf, ohne die anderen aufmerksam zu machen!«
Phil lief schon. Ich bettete den Diener vorsichtig auf unser Bett und beugte mich über ihn. Er stöhnte leise.
»Können Sie mich hören, Tom?« fragte ich leise.
Er nickte ganz schwach.
»Wer war es?«
Seine Lippen bewegten sich, aber ich konnte nichts hören. Ich legte mein Ohr dicht an seinen Mund und fragte noch einmal:
»Wer war es, Tom?«
»Borton«, hauchte der Sterbende so leise, daß man es kaum verstehen konnte.
»Sie gehörten zu seiner Gang, Tom?«
Er nickte wieder.
»Schon lange?«
»Seit fast zehn Jahren«, hauchten seine Lippen.
»Warum hat er Sie umgebracht, Tom?«
Er
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