KR159 - Ich kannte den Mörder
Verbindungen mit dem Festland absichtlich abgeschnitten wurden, hat mich Mister Morris gebeten, mich für alle Fälle vorzubereiten. Er hat mir hinter der Küche ein kleines Labor eingerichtet, in dem ich zur Not einige Medikamente selbst zusammenstellen kann,«
»Die nötigen Chemikalien dafür haben Sie also hier?«
»O ja! Mister Morris hat sehr großzügig die Anlegung einer geradezu vorbildlichen Hausapotheke finanziert. Ich habe mir alle notwendigen Instrumente, Chemikalien und Geräte in Chicago gekauft. Auch eine Apothekerwaage ist dabei, mit der ich die schwierigsten Medikamente genau zusammenstellen kann.«
»Könnten wir dieser Apotheke mal einen kleinen Besuch abstatten?«
Der Arzt sah mich erstaunt an.
»Sicher. Aber darf ich fragen, was Sie sich davon versprechen?«
»Ich möchte von Ihnen nur bestätigt bekommen, daß etwas in Ihrem Giftschrank fehlt.«
Der Doktor wurde blaß.
»Sie wollen doch nicht sagen, daß mir irgendein Gift gestohlen worden wäre?« forschte er ängstlich.
»Doch. Genau das will ich sagen!«
»Das verstehe ich nicht!« jammerte der Doktor.
Ich sagte nichts weiter, bis wir die Küche durchquert hatten und vor einer kleinen Tür standen. Der Doktor ging zu einem Schlüsselbrett, das an einer Küchenwand hing, nahm einen Schlüssel mit einem daran befestigten Schildchen und schloß die Tür auf.
»Der Schlüssel hängt immer dort?«
»Ja. Falls ich einmal gerade nicht in der Nähe bin, muß man doch an die Hausapotheke herankönnen.«
»Hm.«
Wir betraten einen kleinen Raum. An einer Wand befand sich ein Regal, das voller Büchsen, Flaschen und Schachteln war.
»Da haben Sie die notwendigsten Grundstoffe zur Herstellung fast aller Medikamente!« sagte der Doktor stolz.
»Das interessiert mich im Augenblick weniger. Wo ist der Giftschrank?«
»Ach ja. Hier bitte.«
Er zeigt auf ein kleines Schränkchen, das die Aufschrift trug:
»Warnung! Dieser Schrank enthält keine Medikamente, sondern ausschließlich Gifte!«
»Ein bißchen wenig Schutz für tödliche Gifte«, bemerkte ich.
»Ja, ja, da haben Sie natürlich recht«, bemerkte der Arzt. »Aber leider existierte zu dem Schränkchen kein Schlüssel mehr. Er ist irgendwann einmal verloren worden. Und bis jetzt vergaß man immer wieder, ein neues Schloß einsetzen zu lassen. Aber auf der Insel sind ja nur erwachsene Menschen. Da ist doch wohl nichts zu befürchten.«
»Erwachsene können schlimmer als Kinder sein.«
Ich stieß das Schranktürchen auf und sagte:
»Sie kennen den Inhalt genau?«
»Natürlich! Ich weiß auswendig, was er enthält!«
»Dann sehen Sie doch mal nach, ob nichts fehlt!«
Der Doktor tat es. Eine Weile zählte er Tabletten, Fläschchen und Ampullen, dann wurde er plötzlich bleich.
»Na, was ist?« fragte ich.
»Es fehlen drei Ampullen Aconitin! Das ist ja unmöglich! Jede Ampulle enthält ein halbes Gramm! Die tödliche Dosis beträgt fünf Milligramm. Mit drei Ampullen kann man eine ganze Kompanievergiften! Das ist doch unmöglich!«
Der Angstschweiß stand ihm auf der Stirn, und er zählte immer und immer wieder. Aber es wurde nicht anders. Es fehlten drei Ampullen.
Ich dachte einen Augenblick lang nach, dann sagte ich:
»Hören Sie, Doktor: Kein Wort über diesen Vorfall zu irgend jemandem! Kein Wort, verstanden!«
Der Arzt nickte verstört.
»Ich will versuchen, daß ich Ihnen die Drogen wieder herbeischaffen kann. Suchen Sie sich inzwischen einen anderen Aufbewahrungsort für die Gifte. Einen Platz, an den nur Sie herankönnen! Sonst muß ich Sie für fahrlässige Tötung verantwortlich machen, Doktor! Sie wissen genau, daß Sie Gifte nur unter Verschluß aufbewahren dürfen!«
»Ja, ja, ja, ja«, stotterte der Doktor völlig verstört.
Ich verließ ihn und betrat eine Minute später das Musikzimmer. Dort war man inzwischen bei Gershwin angekommen. Ich tat, als interessiere mich einzig und allein das Konzert, und ließ mich leise in einem Sessel nieder, der zwischen Miß Horace und Miß Brook, der Tänzerin, stand. In einem günstigen Augenblick beugte ich mich leise zu der Tänzerin und flüsterte ihr ins Ohr:
»Tun Sie mir den Gefallen und täuschen Sie eine Migräne vor.«
Sie sah mich erstaunt an. Zunächst dachte sie wohl, ich hätte zuviel getrunken.
»Im Ernst«, flüsterte ich ihr zu. »Es ist sehr wichtig für mich!«
Einen Augenblick lang musterte sie mich noch zweifelnd, dann nickte sie. Ich lauschte der weltbekannten »Rhapsodie in Blue«. Links von mir
Weitere Kostenlose Bücher