Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman
unsere erste Begegnung. Ich sah ihn mit dem Film
Scheidung auf Italienisch
aus der Haustür kommen, fragte ihn nach dem Namen des Regisseurs, und er antwortete: »Pietro Germi. Dieser Film ist ein Meisterwerk des italienischen Kinos.« Ich sagte ihm, dass ich meinerseits die Filme des Neorealismus bevorzuge. Da sah er mich mit einem Lächeln an: »Diese Angelegenheit bedarf einer ausführlichen wissenschaftlichen Betrachtung unter Filmliebhabern in Sandros Bar.« An jenem Tag haben wir lange über den Zustand des italienischen Films gesprochen, dem die Bürokratie zu viele Hindernisse in den Weg legt. Amedeo war der Meinung, dass die Komödie
all’italiana
Ausdruck der höchsten Kreativitätsstufe dieses Volkes sei, weil sie mit Paradoxen arbeite; sie vereine in sich Komödie und Tragödie, Ironie und ernsthafte Kritik. An dem Punkt wurde mir bewusst, dass Amedeo ein offener Mensch ist und kein Fan des Catenaccio.
Ja, aber klar hat das was mit dem Catenaccio zu tun! Das ist nicht nur eine defensive Spielweise im Fußball, sondern eine Art zu denken und zu leben, Ausfluss einer rückständigen, verschlossenen und sich nach außen abschottenden Gesellschaft. In Rom gibt es zahlreiche Beispiele für die Kultur des Catenaccio. Ich erzähle Ihnen eines: Ich hatte Silvester in Amsterdam gefeiert und auf dem Heimweg beschlossen, einigen meiner Freunde ein paar Geschenke mitzubringen. Am Bahnhof Termini hielten mich Polizeibeamte an und brachten mich ins Kommissariat, um mich zu verhören. Ich verstand nicht, warum, und glaubte, es handele sich um ein Versehen. Sie haben in meinem Gepäck herumgewühlt, fanden ein paar Gramm Marihuana und fragten:
»Was ist das?«
»Geschenke für meine Freunde.«
»Willst du uns für dumm verkaufen, du Hurensohn?«
»Nein. Ich sage die Wahrheit. Ich habe nicht gegen das Gesetz verstoßen.«
»Bist du verrückt?«
»Das hier sind Geschenke für meine Freunde! Hier ist der Kassenbon des Tabakgeschäfts in Amsterdam.«
»Bist du Holländer?«
»Ja.«
»Na dann ist ja alles klar.«
»Ich verstehe nicht …«
»Rom ist kein Paradies für Drogenabhängige so wie Amsterdam! In Italien ist der Handel mit Drogen verboten. Hast du’s jetzt verstanden? Der Besitz einiger Gramm Marihuana ist ein Vergehen, das unter Strafe steht.«
Schließlich haben sie mich freigelassen, nachdem ich geschworen hatte, dass ich keine Drogen nach Italien importieren und dem Marihuana definitiv abschwören würde. Ich habe aber immer noch nicht kapiert, was Marihuana mit Drogen wie Heroin zu tun haben soll. Existiert die Europäische Union eigentlich wirklich? Gibt es in Italien wirklich die Freiheit zu rauchen, zu glauben und zu denken, was man will? Ist Italien ein kultiviertes Land? Meine Händel mit der Polizei beschränkten sich übrigens nicht auf diesen einen Vorfall. Eines Nachts ging ich in die Via Gioberti am Bahnhof Termini, wo man üblicherweise Prostituierte findet, und mir gefiel eine junge Afrikanerin. Wir hatten gerade besprochen, auf ihr Zimmer in einer Pension dort in der Nähe zu gehen und noch keine zwei Schritte gemacht, als mich die Polizei stoppte und mit einem Haufen Fragen überschüttete. Irgendwann platzte mir der Kragen: »Ich verstehe nicht, warum Sie mich festhalten. Dazu haben Sie kein Recht! Mit ihr bin ich einig, das Geld habe ich ihr schon gegeben, also habe ich auch keine Straftat begangen. Außerdem ist das hier ja wohl ein Rotlichtviertel wie in Amsterdam, oder?« Damit habe ich eine Nacht im Gefängnis riskiert.
Amedeo ein Ausländer! Ist es nachvollziehbar, dass ausgerechnet die Person nicht von hier sein soll, die für all das steht, was an Italien großartig ist? Er ist der Einzige, der auf meine vielen Fragen zu Politik, Mafia, Kino, Küche usw. antwortet. Und dann verstehe ich auch nicht, warum Amedeo des Mordes am Gladiatore beschuldigt wird. Ich kenne Lorenzo Manfredini sehr gut, weil ich mit ihm in einer Wohnung lebte. Er hat Hunde gemocht. Man braucht ja nur einen Blick in seine Wohnung zu werfen und sieht Hunderte von Hundefotos an den Wänden. Wer Hunde so gern hat, verdient es nicht, wie ein Verbrecher zu sterben. Ich weiß, dass er bei den Hausbewohnern wegen seines seltsamen Verhaltens nicht sehr beliebt war. Er sagte immer: »Ich bin ein streunender Hund und habe kein Herrchen.«
Amedeo war auf Lorenzo nicht gut zu sprechen? Ich weiß nicht. Es bedeutet aber – da bin ich mir sicher – etwas ganz Bestimmtes, dass seine Leiche in dem Aufzug gefunden
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