Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman
mich ein wenig irritiert. Ich bin kein Rassist. Aber Neapolitaner ertrage ich einfach nicht. Von ganzem Herzen hoffte ich, dass er mit Neapel nichts am Hut hat, weil ich die Schläge noch nicht vergessen habe, die ich mir vor ein paar Jahren von Neapel-Fans nach einem Auswärtsspiel eingefangen habe, das unentschieden ausgegangen war. Ich bin ja der Meinung, dass sie einen Spieler wie Maradona nicht verdient hatten. Haben Sie gesehen, wie der arme Diego geendet ist? So viele Titel hat er für sie gewonnen – und dann klagen sie ihn an, weil er mit der Camorra gemeinsame Sache gemacht haben soll. Später haben sie ihn in die Drogenabhängigkeit getrieben, bis er die Drogen mehr liebte als den Ball. Hätte er bei AS Roma gespielt, dann wäre vielleicht ein so ehrenwerter Mann wie der Papst aus ihm geworden. Ohne Wenn und Aber sage ich jedem, der’s hören will: Ich traue keinem Neapolitaner über den Weg, und wenn’s San Gennaro persönlich wär!
Amedeo begann seinen Tag nun immer mit den drei C’s: Cappuccino, Croissant und
Corriere della Sera
. Ich versuchte, irgendwelche Details über seine Herkunft in Erfahrung zu bringen, seine Familie, seine sportlichen und politischen Vorlieben, aber Amedeo redet nicht viel, und das hat das Ganze ein bisschen schwierig gemacht. Es ist nämlich so, dass ich nicht so gut bin im Katz-und-Maus-Spielen. Deshalb war meine Geduld schnell erschöpft, und ich redete nicht lange um den heißen Brei herum: »’tschuldige, Amede’, sag jetzt einfach ja oder nein: Bist du aus Neapel?«
»Nein.«
»Bist du ein Fan von Lazio?«
»Nein.«
Vor lauter Erleichterung hab ich erstmal tief durchgeatmet. Dann hab ich ihn umarmt, so wie sich Roma-Fans umarmen, wenn in der Nachspielzeit das Siegtor fällt. Und ich hab beschlossen, dass sein Frühstück diesmal aufs Haus geht.
Als ich mir also sicher sein konnte, dass er nicht aus Neapel und auch kein Lazio-Anhänger ist, habe ich mich ihm gegenüber geöffnet, und wir sind Freunde geworden. Unsere Freundschaft wurde noch intensiver, nachdem ich in eben dem Haus, in dem auch er wohnt, eine Wohnung gekauft habe. Ich hab ihn weder jemals gefragt, wo er geboren wurde noch wann er nach Rom gekommen ist. Aber mit der Zeit wurde mir klar, dass er diese Stadt besser kennt als ich. Er ist sicherlich schon von klein auf hier, wie mein Großvater; der ging vor einem Jahrhundert aus Sizilien weg und hat sich in der Hauptstadt niedergelassen. Nach einem Weilchen ist auch Amedeo zum Fan der Roma geworden und versäumt inzwischen kein Heimspiel im Olympiastadion mehr. Ganz allein mein Verdienst. Ich bin ein Apostel wie der heilige Paulus – mit einem klitzekleinen Unterschied: Er fängt die Schäfchen für die katholische Kirche – und ich bekehre zum AS-Roma-Glauben. Am Ende macht jeder Stimmung für seine eigene Mannschaft.
Aber wo denken Sie hin! Amedeo war kein Ultrà. In einigen Zeitungen habe ich gelesen, dass der Gladiatore, den sie ja tot im Aufzug gefunden haben, ein Lazio-Fan war, und der Autor eines dieser Artikel leitete daraus ab, dass man den Mörder im Fan-Umfeld von AS Roma suchen müsste. Kämst du auf die Idee, dass man deswegen jemanden umbringt? Die Roma trifft keine Schuld. Ich will damit sagen, dass Amedeo mit diesem furchtbaren Verbrechen nichts zu tun hat. Amedeo ist ein guter und großherziger Mensch, »gut wie Brot«, wie man hier in Rom sagt. Er ist zum Beispiel äußerst großherzig mit dem Iraner. Er hilft ihm, Arbeit zu finden und zahlt in der Bar für ihn. Bemerkenswert ist Amedeos Begeisterung für den Elfmeter. Er zieht einen Elfmeter einem herausgespielten Tor vor! Wenn ein Spieler anläuft, um den Elfmeter zu schießen, dann zittert Amedeo. Ich habe nie verstanden, wieso.
Es fällt mir schwer zu glauben, was Ihr sagt. Amedeo soll ein Einwanderer sein wie der Iraner Parviz, der Bengale Iqbal, wie die fette Haushaltshilfe Maria Cristina, Abdu, der Fischverkäufer und der Holländer? Über den könnte ich mich immer kaputtlachen, wenn er wie ein Papagei ein ums andere Mal sagt: »Ich bin nicht GENTILE!« Ihr kennt Amedeo so gut wie ich. Er weiß mehr über die Geschichte von Rom und die hiesigen Straßen als ich, sogar mehr als Riccardo Nardi, der so unglaublich stolz darauf ist, dass seine familiären Wurzeln bis auf die antiken Römer zurückgehen. Riccardo, der Taxifahrer, der seit 20 Jahren jeden Tag auf allen Straßen der Stadt unterwegs ist. Einmal haben sie miteinander einen Wettbewerb ausgetragen, wer sich besser
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