Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)
Eurovision Song Contest.
Als gerade das bekannteste Lied von Gala lief, stupste mich Tom an:„Hey, da ist ein süßer Lockenkopf.“
„Hmmm“, machte ich, wenig interessiert.
„Der gefällt mir“, sagte er.
„Ja“, erwiderte ich, versuchte es zu ignorieren.
Ich fühlte mich wohl hier. Ganz anders als in Frankfurt. Da erschien mir alles so kalt, so oberflächlich, so unfreundlich, so selbstbezogen. Vielleicht war das auch hier so, nur
fühlte ich es anders.
Tom entschied, dass wir um vier gehen könnten, noch ein wenig schlafen und am nächsten Tag viel erleben. Mir war es recht. Für mich kam der schönste Teil des Abends vor dem
Schlafengehen. Noch einmal eine Viertelstunde Schmusen.
Lied 3: Helena Paparizou – My Number One
Wir schauten uns die Jubiläums-Show des Eurovision Song Contest im spanischen TV an. Wir tranken ein bisschen Sekt, auch hier mit Minz-Sirup – der neue Trend in Madrid oder nur
eine Marotte von Tom? – bereiteten uns auf
Chueca
vor, duschen, rasieren, anziehen, Haare machen.
Meine Laune war sehr gut, wir hatten viel Spaß im Laufe des Tages gehabt, waren im IKEA in Madrid shoppen, in einem riesigen Einkaufszentrum, dann noch kurz in
Nuevos
Ministerios …
Als wir dann in
Chueca
auf Luc trafen, freute ich mich sehr. Er war ein sehr hübscher junger Mann mit goldigem Wuschelkopf, sprach Englisch mit wundervollem französischen
Akzent, war schön angezogen, lachte niedlich, mit anderen Worten: Ich war hin und weg von ihm. Ich klinkte mich in das Gespräch der beiden ein.
Wieder das gleiche Spiel: Freikarten abchecken, überall mal hineinschauen, wo etwas los sein könnte. Zuerst in den einen Schuppen von gestern, weil Luc die Hoffnung hatte, dass die
einen ESC-Abend mit entsprechender Musik machen würden – aber weit gefehlt. Dann wurden meine beiden hübschen Jungs von einem alten Sack regelrecht in die Enge getrieben, wir
flüchteten.
Letztendlich gingen wir wieder ins
Longplay
. Heute sehr viel voller, von Anfang an, allerdings waren wir auch später dran. In Madrid beginnt der Abend nicht vor halb eins.
Wieder stupste mich Tom an: „Hey, der Lockenkopf ist wieder da.“
Ja. Auch Luc fiel dieser auf.
„Oh Mann“, meinte der, „der ist ja toll.“
Ich war eifersüchtig. Wenigstens der Belgier, der eine halbe Stunde zuvor zu Tom gesagt hatte, dass er mich süß fände, hätte doch lieber ein Auge auf mich werfen
können. Dieser dumme Lockenkopf!
Tom fand mittlerweile den Begleiter des Lockenkopfes toller.
Meine gute Laune ließ sich kaum noch aufrechterhalten. Ich fragte Luc, ob er mit mir hinausgehen wolle. Zunächst nicht. Ich bewegte mich weiter wild auf der Tanzfläche. Dann nach
einigen Minuten sagte er: „Okay, lass uns hinausgehen.“
Wir setzten uns in die Nähe des Eingangs, frische Luft. Redeten. Er holte sich Zigaretten. Wir blieben an dem Zigarettenautomaten stehen, er befand sich direkt an der Tür. Hier war es
ein bisschen kühler, gerade richtig. Plötzlich tauchte der Lockenkopf vor uns auf, wollte sich Zigaretten kaufen. Stellte sich tollpatschig an, das Kleingeld fiel ihm mehrmals aus der
Hand, er brauchte längere Zeit, um zu seiner Packung zu kommen. Ich fragte ihn, ob er irgendwelche Probleme habe. Wir kamen ins Gespräch. Er sagte, er komme aus Brasilien. Wollte, dass
ich ihm sage, dass ich ihn hübsch finde.
Luc war begeistert. Von des Lockenkopfs Schuhen, von dessen Haaren, von dessen Art.
Der Brasilianer verschwand. Wir sahen ihn noch mehrmals, aber er rauschte stets an uns vorbei. Luc ärgerte sich. Ich begab mich mit ihm auf die Suche, doch erfolglos. Der Brasilianer sprach
nicht mehr mit uns. Wir kamen zurück zu Tom, der mittlerweile mit der Begleitung des Lockenkopfes knutschte.
Ich schaute in die Richtung von Luc, ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich war kurz vor der Explosion. Ich rannte hinaus, hoffte, dass der Belgier mir folgt. Er kam nicht. Auch das
enttäuschte mich. Ich ging zurück. Ich konnte nicht mehr.
Luc folgte mit seinen Blicken den Bewegungen des Lockenkopfes. Ich schaute immer wieder zu Tom. Ich hatte einen kurzen Blackout. Ich schloss die Augen, mir war schwindelig. Ich wandte mich an
Luc, sagte: „Ich möchte jetzt gehen.“
„Er macht nichts Falsches“, sagte der.
Ich lief auf Tom zu: „Ich möchte gehen.“
Es war ihm recht. Wir gingen.
Ich war sauer.
Im Nachtbus konnte ich erst einmal nicht reden. Was sollte ich ihm sagen? Was hatte er sich dabei gedacht? Mir tat es so
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