Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)
schrecklich weh! Ich wollte fort sein! Am liebsten tot und nichts mehr
spüren!
Wir schwiegen. Er konnte mich nicht anschauen. Irgendwann platzte es aus mir heraus. Ich beschimpfte ihn gnadenlos.
„Du hast recht“, erwiderte er, „ich weiß, dass ich Scheiße gebaut habe, und dass ich es nicht mehr gutmachen kann, ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht
habe.“
Ich war wütend. Und kam mir wie in einem schlechten Film vor.
Als wir zuhause ankamen, war ich noch immer sauer. Tom weinte. Wir legten uns ins Bett. Ich weiß nicht, was da passierte. Ich fragte mich, warum ich ihm verzeihen konnte. Wieso ich ihn in
meine Arme nahm, mit ihm kuschelte.
War ich nun schwach? War ich nun dumm? War ich stark? War ich in einer Übergangsphase?
Ich weiß es nicht. Ich war traurig. Unendlich traurig, und doch fühlte ich mich geborgen, als ich mit ihm da lag, mit ihm schmuste. Ich fand es schlimm, was ich da hatte ansehen
müssen. Konnte nicht verstehen, wie jemand so unsensibel, so respektlos sein konnte. Und doch gab es da etwas, was ich verstand. Vielleicht fühlte ich mich deswegen trotz allem ein
bisschen wohl.
Ich wusste, dass er mich lieb hatte, dass er mich als besten Freund behalten wollte, mich respektierte, sehr gerne mit mir zusammen war. Aber dass er sich einfach überfordert, sich von mir
bedrängt fühlte, dass er abblocken wollte, weil es zu viel war, ungesund, weil wir eine andere Basis finden mussten. Und dass ich derjenige war, der das verhindert. Dass ihn das unendlich
traurig machte und er selbst nicht wusste, wie er das in eine andere Bahn bringen, wie er sich abgrenzen konnte.
Ich spürte, dass er sich schützen wollte, dass er vielleicht auch deswegen keine Rücksicht genommen hatte.
Als ich später alleine auf meiner Matratze lag, hatte ich so viel Angst; vor meinen Gefühlen, vor der Zukunft, vor der Zurückweisung, vor dem Beziehungsabbruch. Ich konnte mir ein
Leben ohne Tom nicht vorstellen. Wollte es nicht, konnte es nicht.
Ich hatte Panik.
Lied 4: Soulstice – The Reason
Es war merkwürdig, in Madrid zu sein. Ich machte ein Auf und Ab mit – so viele Gefühle. Schwankte zwischen Sich-Zurückgewiesen-Fühlen und Geborgenheit, zwischen
Entspannt-Sein und Panik. Ich liebte Madrid, ich liebte die alten Gebäude, die großen Parks, die vielen Menschen, die breiten Straßen, die verrückte Metro, die teilweise so
labyrinthartig war. Ich liebte die Atmosphäre, ich liebte die andere Mentalität, den anderen Lebensrhythmus.
Ein weiterer Tag, an dem Tom sich mir ganz widmen konnte. Ich wollte ihn genießen. Sobald ich loslassen konnte, keine Erwartungen an ihn hatte, konnten wir viel lachen, waren ein
Dreamteam.
Doch es war so schwer. Jetzt sah ich ihn wieder vor mir, war ihm nahe. Und meine Gefühle schwappten über, meine Bedürfnisse, meine Lust, ihn zu berühren, Sex mit ihm zu
haben. Ich hatte seit Monaten keinen Sex mehr gehabt, das letzte Mal mit ihm. Ich wusste gar nicht, ob ich es mit einem anderen machen könnte. Sobald ich ihn berührte, ihn anschaute,
wollte ich…
Es war schwer auszuhalten, es war schwer, keine Erwartungen zu haben. Er zeigte mir einen anderen Park, der noch größer war. Es war ein warmer Tag, der goldene Oktober. Wir
saßen im T-Shirt auf einer Steintreppe, aßen Donuts, schauten auf den Freizeitpark, den wir aus einiger Entfernung sehen konnten. Es war so ruhig.
Wir redeten über unser Leben. Ich sagte ihm, dass es seltsam ist, mit ihm in Madrid abzuhängen. Ich fühlte mich hier merkwürdigerweise heimisch.
Am Abend liefen wir erneut durch
Chueca
. Wir wollten in ein anderes Viertel, in eine andere Kneipe. Der Lockenkopf und der Knutscher begegneten uns. Eine Riesenstadt… aber schon
wieder diese beiden.
Sie begrüßten uns und fragten sofort, ob wir mit ihnen gehen möchten. Tom verneinte, sagte, dass es in
Chueca
keine schönen Bars gebe und er mit mir in eine andere
Kneipe möchte. Wir verabschiedeten uns.
João, so heißt der Lockenkopf, wie ich nun erfuhr, küsste mich auf die Wangen und sagte dabei: „
Adios, mi querido.
“
Ich schlug später im Lexikon nach: Liebling, Geliebter, Schatz.
Daher war ich einerseits ein bisschen traurig, nichts mit den beiden unternommen zu haben, andererseits hatte ich Angst. Angst davor, den Knutscher und Tom miteinander flirten zu sehen. Das
befürchtete auch Tom. Wir gingen an diesem Abend relativ früh nach Hause, kuschelten ein bisschen miteinander. Ich fühlte mich gut mit ihm.
Lied
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