Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)
weinte.
Ich war alleine durch den Retiro Park gelaufen, der riesengroß ist, saß am Wasser, schaute mir den Glaspalast an, in dem eine Ausstellung von Tobias Rehberger zu sehen war, und
plötzlich begann es tröpfchenweise zu regnen.
Da ich mich nicht auskannte und nicht wusste, wie ich wieder zum Ausgang kommen könnte, lief ich einem Mann, der mit seinem Hund Gassi ging, hinterher. Mir kam dieser Neben-Ausgang, durch
den sie gingen, nicht bekannt vor. Vielleicht lag es auch daran, dass sich meine Augen mit Tränen gefüllt hatten.
Ich fühlte mich verirrt.
Wieso besuchte ich Tom, meinen Ex-Freund? Wieso erwartete ich so viel von ihm? Wieso bekam ich mein Leben nicht in den Griff? Wieso verlief ich mich ausgerechnet hier und heute, da ich mich
sonst in diesem unlogischen und megalomanen Madrid noch nie verirrt hatte?
Von Anfang an hatte ich mich in der Metro zurechtgefunden, war korrekt gefahren, hatte die Ausgänge richtig gewählt, lief bei meinen Spaziergängen, bei meinem Sightseeing, stets
auf die nächste Metrostation, die ich brauchte, zu, als hätte ich gewusst, wohin ich laufe, ohne Stadtplan, auf gut Glück.
Doch heute, am vierten Tag, begann ich mich zu verirren, unruhig zu sein, mich nicht so wohl zu fühlen, wie ich es die Tage über getan hatte, immer dann, wenn ich alleine war.
Denn Alleine-Sein in Madrid bedeutete für mich nicht Einsam-Sein, sondern Gerne-Allein-Sein, Entspannt-Sein. Wenn Tom in meiner Nähe war, begannen die Probleme, die Erwartungen zu
groß zu werden, die Enttäuschung gewann überhand.
Ich saß auf der Treppe, weinte in der Öffentlichkeit, und hoffte, dass sich meine Stimmung bald änderte. Es konnte nicht so weitergehen. Ich musste mich von ihm lösen. Er
wünschte sich einen besten Freund und ich einen Beziehungspartner. Ihn!
Auf der Bank sitzend träumte ich davon, dass er sich eines Besseren besann, sich ein wenig austobte und dann feststellte: Hey, ich habe meinen Traummann bereits gefunden.
Unrealistisch!
Ich musste mich von ihm lösen, mich für andere Menschen öffnen. Ich wusste nicht wie.
Ich gehöre zu den Menschen, die mit der Tür ins Haus fallen, die andere Leute ständig überfordern mit ihren Erwartungen, Wünschen, Vorstellungen. Die meisten sind davon
sehr schnell abgeschreckt. Blocken ab.
So ist es mir oft mit Tom ergangen. Auch hier in Madrid.
Mach dich locker, sagte ich zu mir selbst. Die letzten Tage arbeitete er immer und ließ dich viel allein, aber nun hast du das gesamte Wochenende Zeit, mit ihm Schönes zu erleben.
Dieses Madrid, das für ihn „Madrid gleich ohne Tobias“ bedeutet, und für mich „Madrid gleich der Ort, an dem Tom lebt“ ist, zu einem „Madrid, in dem wir
gemeinsam viel Spaß hatten“ zu machen.
Noch war ich nicht so weit, noch hatte ich die Melodie eines traurigen Liedes in meinem Kopf. Ich wurde nass, die Tropfen erinnerten mich an das Klavier in diesem Song.
Lied 2: Gala – Freed from Desire
Ich bin eher der Kuschel-Typ. Tom musste ich dazu zwingen. Er ist ein Wilder.
In den letzten Tagen versuchte ich ihn sanft und bestimmt dazu zu bringen, dass er mich wenigstens vor dem Schlafengehen noch ein bisschen in den Arm nahm.
Mit dem Verstand kann man nicht erklären, wieso ich so sehr an ihm hänge, da ich bereits so oft von ihm verletzt wurde. Es ist, als hörte ich immer wieder eine CD von Coldplay,
obwohl ich weiß, dass ich dann weinen werde, weil ich stets weinen muss, wenn ich ein Lied von ihnen höre.
Tom legte sich noch einmal hin, während ich duschte. Wir tranken Sekt, gingen dann los. Liefen durch
Chueca
, versuchten ein paar Freikarten für Clubs zu ergattern, wurden von
Promotern angesprochen, schauten uns die Menschen an. Betraten merkwürdige Clubs, in denen noch viel zu wenig los war.
Nach zwei Liedern rauschten wir wieder heraus, weil immer noch niemand da war. Ich amüsierte mich auch ohne andere, weil ich tanzte. Ich wollte zeigen, dass ich nicht nur weinen kann. Ich
kann Spaß haben, Leute anflirten, tanzen, schön sein, einfach.
Wir setzten uns in eine Schwulenkneipe, tranken etwas Mysteriöses, was schnell betrunken macht, es war Minz-Sirup drin. Ich fühlte mich mit Tom wohl. Wir erlebten etwas gemeinsam.
Wir gingen später ins
Longplay
. Auch hier war erst einmal relativ leer. Es füllte sich später. Mir gefiel es. Nichts Besonderes, aber die Menschen schienen nett und
umgänglich. Sympathisch.
Ich tanzte zu schlechter Musik, meist spanische Pop-Musik, manchmal
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