Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)
selbst als hoffnungsloser Stalker dazustehen.
Frustriert wartete er auf den Tag, an dem endlich Gleichgültigkeit an die Stelle der Sehnsucht treten würde. Sobald Erinnerungen ihn ansprangen, suchte er sie mit künstlicher
Abgeklärtheit zu verjagen.
Woche für Woche verging, aber es wollte Torben nicht gelingen, sein Singledasein anzunehmen - allen Flirts und Offerten zum Trotz.
Noch Monate nach Dirks Auszug erwischte Torben sich dabei, zu den altgewohnten Zeiten bestimmte Plätze aufzusuchen. Er fand es selbst lächerlich, am Samstagmorgen im Park um die Ecke
laufen zu gehen, nur weil sie das früher oft gemeinsam getan hatten. Und er kam sich herzzerreißend blöd vor, wenn er „ihre“ Geschäfte und Lokale frequentierte; in
der Hoffnung, dort Dirk zu begegnen.
Abstellen konnte er seine Verhaltensweisen nicht.
An manchen stillen Abenden fühlte Torben sich zu seelentaub, um seinem Exfreund weiter nachzutrauern. Dann knäuelte er sich in einem Sessel zusammen und beschimpfte sich selbst.
Inzwischen war ihm klar, was ihre Beziehung hatte scheitern lassen. Kein brutaler Schnitt war ursächlich, sondern die langsam eingeschlichene Lieblosigkeit. Er hatte sich keine Mühe
mehr gegeben, von einigen wenigen Momenten einmal abgesehen.
Selbstverständlichkeit hatte regiert, wo dankbare Wertschätzung ihren Platz gehabt hätte. Und dann waren andere Dinge interessant geworden, zumindest für ein paar
Augenblicke. Wie eine Pflanze, an deren Anblick man sich gewöhnt hat und der man irgendwann keine Beachtung mehr schenkt, war die Liebe welk und spröde geworden, um am Ende leise
einzugehen.
Am Ende seiner stummen Tirade verließ Torben stets traurig seinen Sessel und wartete im Bett darauf, dass die Ernüchterung sich einmal mehr neben ihm unter die Decke schob.
Leise fragte er sich dann, wann der Anblick der leeren Betthälfte links von ihm endlich nicht mehr wehtäte.
* * *
Dirk musste damals blitzschnell einen Nachsendeauftrag für seine Post eingerichtet haben. Nach seinem Weggang war keine an ihn adressierte Post mehr im einst gemeinsamen Briefkasten
gelandet, zu Torbens großem Bedauern. Wie gern hätte er einen solchen Vorwand genutzt, aber nicht einmal belanglose Werbebriefe nahmen den alten Weg.
Wie in jedem komplexen System kommt es jedoch auch im Verlauf der Postbeförderung zu Fehlern, und einer davon sollte sich als Torbens Freund erweisen.
„Hallo? Ich habe hier einen Katalog, der nicht in den Briefkasten passt. Können Sie mir den mal abnehmen?“
Ohne der Zustellerin durch die Wechselsprechanlage zu antworten, betätigte Torben den Türdrücker und wartete in der offenen Wohnungstür. Er hatte die Hand schon nach dem
großformatigen, dicken Heft ausgestreckt, als die Postfrau einen Blick darauf warf, einen Moment nachdachte und es wieder in ihrer Umhängetasche verschwinden ließ.
„Ach nein“, murmelte sie zu sich selbst. „Der wohnt ja jetzt in der Winterfeldallee.“
Dann kramte sie zwei Rechnungen hervor, drückte sie dem verdutzten Torben in die Hand, wünschte ein schönes Wochenende und polterte die Treppen hinunter.
Die Winterfeldallee war nicht besonders lang. Dafür gab es an den überwiegend mehrstöckigen Häusern zahlreiche Klingelschilder. Torben benötigte dreieinhalb
Spaziergänge in der Dämmerung, bis er Dirks Namen gefunden hatte.
In dieser Nacht konnte Torben nichts anderes tun als bildschöne Visionen davon zu entwickeln, wie er an Dirks Tür läuten und ihn zurückgewinnen würde.
Nur mit Mühe bezähmte er sich und setzte sie nicht spontan in die Tat um. Er war schlau genug, um einzusehen, dass er einen Plan brauchte. Und wirklich gute Argumente. Von einer
gehörigen Portion Glück ganz zu schweigen.
Mehr als einmal ließ er sein Vorhaben im Versuchsstadium scheitern und kehrte auf halber Strecke um. Schalt sich einen Idioten, der lieber alles vergessen sollte, und konnte dem eigenen
Rat nicht folgen.
* * *
Es war ein verhangener, kühler Spätsommertag, an dem Torben wohl zum fünften Mal einen üppigen, gut gewachsenen Salbeibusch samt Übertopf vor den Beifahrersitz seines
Autos stellte. Er war frisch rasiert und trug das weiche, dunkelgrüne Shirt, das Dirk vor langer Zeit so sehr an ihm gemocht hatte.
Bevor er einstieg, nickte Torben sich selbst in der Autoscheibe zu. Diesmal würde er klingeln.
Jannis Plastargias
Madonna in Madrid
- Pfefferminz -
Lied 1: I Am Kloot – Avenue of Hope
Ich setzte mich auf eine Bank und
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