Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)
bei mir zu haben, ist mein innigster
Wunsch, als ich meine Wahl treffe.
Der Mann, auf den ich zugehe, ist kleiner als ich und hat scharfe, fast asketische Züge. Er lächelt mir entgegen, hat schöne, gepflegte Zähne. Wir kennen uns, obwohl wir nie
unsere Namen ausgetauscht haben. Ich weiß, dass er mir geben kann, was ich brauche. Darüber hinaus bin ich nicht an ihm interessiert.
Ihm geht es nicht anders. Er umfasst meinen Brustkorb und stürzt sich auf meinen Mund. Seine harten, nassen Küsse lassen jeden klaren Gedanken aus meinem Kopf verschwinden. Ich
stürze mich in das Vergessen, das er mir bietet. Fahre seine Schultern entlang und öffne meine Sinne.
Er riecht, schmeckt, fühlt sich nicht besser an als Antonio. Aber er will. Ich errege ihn, er schiebt sich mir entgegen, er ist hart, wie ich es bin.
Es ist so lange her, dass ich auf diese Weise geküsst worden bin. Dass ich berührt wurde, weil mein Gegenüber scharf ist, statt um mich auf dem schnellsten Wege
zufriedenzustellen.
Ich fasse meinen fremden Wohltäter hart an. Meine Hände finden seinen Hintern und greifen viel zu brutal zu. Er stöhnt mir in den Mund und reibt sich an meinem Bein. Als ich ihm
die Hände auf die Schultern lege, lässt er sich willig nach unten drücken.
Mit fliegenden Händen öffnet er mir die Hose. Ich vernehme das Seufzen eines Mannes, der sich auf seine Aufgabe freut, und lehne mich an die Wand. Meine Augen fallen zu und ich in
einen Abgrund begeisterter Zungen, Lippen, Münder, Hitze.
Niemand hinter dem Vorgang ist lauter als ich.
* * *
Ich sitze auf der Couch. Eine innere Zerrissenheit hält mich davon ab, ins Schlafzimmer zu gehen. Ein Teil von mir ist tief befriedigt und dankbar, ein anderer ist so unzufrieden, dass er
weinen möchte.
Ist es albern, vor Sehnsucht nach dem eigenen Ehemann, den man vor weniger als 24 Stunden hatte, zu weinen? Ich weiß es nicht. Ich weiß in diesem Augenblick, da ich auf den stummen
Fernseher schaue, sehr wenig.
Erneut muss ich daran denken, dass die Regeln unserer Ehe nicht dazu da waren, etwas zu ersetzen, das zwischen uns fehlt. Es sollten Boni sein, kein Ersatz.
Antonio fehlt mir. Ich vermisse es, dass er mit einem Lächeln auf mich zukommt und mich ins Schlafzimmer zieht. Ich vermisse es, morgens aufzuwachen, ihn verschlafen anzusehen und zu
wissen, dass wir beide dasselbe wollen. Ich vermisse es, von seinem Körper so tief befriedigt zu werden, dass ich für eine wunderbare halbe Stunde nichts tun kann, als selig auf dem
Rücken zu liegen.
Andere Elemente unserer Ehe sind wichtiger. Liebe, Zusammengehörigkeit, Humor, gemeinsame Interessen und Denkweisen. Aber sie verblassen zunehmend unter der Belastung des defekten
Sexlebens.
Es ist einer dieser Momente, in dem ich mich frage, ob da ein anderer ist. Ich weiß ganz genau, dass Antonio keine Affäre hat. Aber mein Bauch fragt trotzdem.
Es tut weh.
Weiter kann ich nicht denken. Es tut weh, dass es nicht mehr funktioniert. Es tut weh zu wissen, dass jeder Sex eine einseitige Angelegenheit ist. Es tut weh zu warten, dass Antonio mir entgegen
kommt und mir zeigt, dass er mich will.
Es dämpft meine Stimmung, raubt mir die Vorfreude auf den Feierabend und lässt mich nach Freiheit schreien.
Vielleicht sind wir am Ende unseres Weges. Ich will nicht daran glauben. Es ist nur Sex, und jeder weiß, dass die Lust aufeinander mit den Jahren abnimmt. Das kann man in jedem
Beziehungsratgeber nachlesen.
Wie sehr mich die Situation belastet, will mir nicht in den Kopf.
Das Schlimme ist, dass wir keinen Fehler gemacht haben. Wir können nichts rückgängig machen oder reparieren. Antonio hat einfach keine Lust, und ich kann nichts einfordern, wonach
es ihn nicht verlangt. Er gibt sich Mühe, aber er hat keinen eigenen Antrieb. Und umso mehr ich spüre, dass alles, was er tut, nur mir zuliebe stattfindet, umso deprimierter werde
ich.
Eine Bewegung auf dem Flur lässt mich aufblicken. Ich bin nicht überrascht. Ich wusste, dass er wach ist. Er schnarcht normalerweise; nur ganz leise und fast schüchtern. Als ich
ihn beim Betreten der Wohnung nicht gehört habe, war mir klar, dass er auf mich wartet.
Ich bin ein Arschloch, weil ich nicht zu ihm gegangen bin, um ihn glauben zu machen, dass alles bestens ist.
Sein Schatten bewegt sich unstet auf mich zu; keine geraden Schritte, sondern kleine Schlangenlinien, als würde er wider besseres Wissen handeln. Erst, als er mir sehr nah ist, erkenne ich,
dass er nackt
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