Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)
Leg dich bitte hin!«
Noah wusste, dass es das Beste für ihn war, Sebastians Anweisungen Folge zu leisten, also ließ er sich auf das künstliche Gefälle von Couch zu Fußhocker
zurücksinken. Sebastian stülpte die Hausschuhe aus Lammfell über Noahs Füße und setzte sich dann. Nicht auf das Sofa, sondern auf den Boden, neben den Hocker, auf dem
Noahs Kopf lag.
Er zuckte die Schultern.
»Ich hab ihr gesagt, dass ich freigenommen hab, weil du krank bist, und dass wir nicht kommen können. Dass der Arzt Freitag entscheidet, ob wir doch noch ins Krankenhaus müssen.
Da ist sie ganz hellhörig geworden und hat gefragt, ob es tatsächlich nur ein grippaler Infekt ist, als ob sie nicht wüsste, dass das nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist.
Ich hab ihr gesagt, dass es beim letzten Mal auch in vier Tagen umgeschlag ...«
»Was hat sie gesagt?«
Sebastian seufzte. »Sie hat gesagt: ›Naja, wenn Noah doch noch ins Krankenhaus muss, dann steht der Feier ja nichts mehr im Wege.‹«
Noah sah ihn an. »Das ist alles?«
»Macht
dich
das nicht wütend?«
Noah zuckte mit den Schultern und schwieg. Er war Schlimmeres von seiner Schwiegermutter gewohnt, und wenn er ehrlich war, war er erleichtert, dass er nicht fahren musste. Die letzte Feier in
Sebastians Familienkreis war nicht lang genug her, als dass er auf die nächste Dosis Erniedrigung nicht warten konnte.
Vor kaum zwei Monaten hatte Sebastian ihn gezwungen, einen neuen Anzug für die Hochzeit seiner Schwester zu kaufen. Das Jackett seines alten Anzugs spannte mittlerweile, während die
Hose, selbst in seiner sitzenden Position, Anstalten machte, ihm von den Hüften zu rutschen.
Die Angestellte des Herrenausstatters hatte ihr Bestes getan, Noah zu vermessen und danach ihr Sortiment zu durchwühlen, auf der Suche nach einer Anzughose, die in Noahs Größe
verfügbar war, keine Nähte und Falten im Sitzbereich aufwies, von denen sich Noah schnell Druckgeschwüre hätte holen können, und gleichzeitig verbarg, in welcher
Missrelation der Umfang seiner Schenkel zu dem seines Bauches stand.
Er hatte das Gesicht der Frau in Erinnerung, als sie vom Umfang seines Oberschenkels Maß genommen hatte, den Noah jetzt aus seiner Position gut betrachten konnte. Der Knochen des
Schienbeins zeichnete sich scharf ab, der nutzlose Muskel lag wie ein schmaler Streifen Silikon in der Haut, weich und gummiartig, alles in allem nicht wesentlich dicker als sein Unterarm. Die
erschlafften Muskeln waren auch schuld daran, dass sein Bauch sich immer weiter vorschob, da seine Organe jegliche Stütze entbehrten. Der zusätzliche Speck, den Sebastian ihm über
den letzten Winter angefüttert hatte, ließ seine
Liebesröllchen
vollends auf seinen Schoß sinken.
Sebastian war zu gut erzogen, um auszusprechen, dass Noah zugenommen hatte. Höflich genug, um darauf hinzuweisen, dass Noah nicht mehr wog, als zu dem Zeitpunkt, an dem sie zusammengezogen
waren. Das war ein Fakt.
Fakt war aber auch, dass Noah nicht mehr in seine Uniform passte, auch wenn Sebastian nicht wusste, dass er an einem Nachmittag, während dieser im Dienst gewesen war, in nostalgischer
Stimmung versucht hatte, sich allein seine ausgediente Uniform anzuziehen. Das Bild der über seinen unförmigen Bauch gespannten Knopfleiste hatte sich in seinem Kopf festgesetzt, gleich
ob Sebastian all das als
ein paar Kilo Babyspeck
abtat.
Ein paar Kilo Speck verteilten sich auf einem trainierten Körper anders als auf ihm. Sie verteilten sich anders auf einem
stehenden
Körper.
Während die Dame fortdauernd neue Hosen, Hemden und Jacken gebracht hatte, hatte Sebastian ihn aus den Kleidern heraus und in neue hinein geschält, was sie beide nach dem dritten Paar
Hosen in Schweiß hatte ausbrechen lassen. Zu Hause zogen sie Noah immer auf dem Bett an, was ungleich unkomplizierter zu den Verdrehungen und Stützübungen war, zu denen sie bei
Umkleideaktionen im Stuhl gezwungen waren. Während Noah sich mit ausgestreckten Beinen auf die Armlehnen hochstemmte, arrangierte Sebastian den Stoff über Schenkel und Po und schloss
Reißverschlüsse und Knöpfe. Das verlangte nach Kraft, Geschicklichkeit und Teamfähigkeit.
Noah hatte nicht gewusst, womit er diese Tortur verdient hatte. All das für eine Hochzeit, die er überhaupt nicht feiern wollte.
Aus dem Augenwinkel sah Noah, wie Sebastian auf seine nicht vorhandene Armbanduhr blickte. Er nahm die Uhr immer ab, sobald er zu Hause war. Zu oft hatte er Noah
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