Kräuterkunde
empirisch-materiellen Weltbildes zu verlassen, suchen sie krampfhaft in mikroskopischen Bereichen, in der DNS und RNS der pflanzlichen Zellkerne, nach des Rätsels Lösung. Dabei verlieren sie sich hoffnungslos in immer kleineren Details. Max Scheler, ein populärer Philosoph der zwanziger Jahre, kommt einem Verständnis schon näher. Er postuliert einen in der Vegetation enthaltenen »ekstatischen Gefühlsdrang«, um dem nicht auffindbaren Bewußtseinszentrum beizukommen. (
Scheler 1935
) Die Formulierung »ekstatisch« (das griechische Wort
Ekstasis
bedeutet »aus sich heraustreten«) gibt uns einen brauchbaren Schlüssel. Schelers Anregung folgend könnte man hypothetisch sagen, daß sich der steuernde Geist der Pflanze nicht – wie es bei uns Menschen der Fall ist – vollständig in der Physis inkarniert. Er ist »aus sich herausgetreten«. Der Pflanzengeist bewegt sich außerhalb seines Leibes. Ähnliches deutete auch schon der große Pflanzenliebhaber Johann Wolfgang von Goethe an. Er sprach von der Pflanze als »sinnliches-übersinnliches Wesen«. Nur ein Teil unserer grünen Erdmitbewohner, und zwar der materiell-sinnliche Aspekt, ist der wissenschaftlichen Analyse zugänglich. Der übersinnliche Aspekt – den wir traditionsgemäß Geist und Seele nennen würden – ist nur dem geistigen Auge zugänglich. Es ist dieser Aspekt, dem sich die Schamanen, Medizinleute und Heiler zuwenden.
Überall auf der Welt sprechen diese Grenzgänger mit den »außerhalb stehenden« Pflanzengeistern, Pflanzenseelen und
Devas
. Um das zu tun, begeben sich die Schamanen selbst in einen »ekstatischen Zustand«. Sie sprengen die Grenzen ihres alltäglichen Egos und begeben sich in Trance oder Tiefenmeditation. Auf diese Weise »fliegen« sie in andere Dimensionen, in denen sie dann den Pflanzenpersönlichkeiten begegnen. (
Storl 1997
) Dort im »Jenseits«, im »Land der Geister«, in den »Sphären der Harmonie« – wie immer auch man diesen trans-empirischen Zustand nennen möchte – begegnen die Schamanen ihren
Verbündeten
aus dem grünen Volk. Dabei werden ihnen wertvolle Erkenntnisse zuteil, etwa die Anwendung der Pflanze als Heil-, Zauber- oder Nahrungsmittel. So, und nicht etwa durch stupide
Trial and Error
-Forschung, durch mühselige Experimente oder gar brutale Tierversuche, wurden die medizinischen Eigenschaften fast aller Heilpflanzen entdeckt. (
Storl 1993:19
)
Die makrokosmische Offenheit der Pflanzen
Fragt man den normalen Menschen, wo sein »Ich«, sein Wesenskern zu finden ist und wo seine Gefühle lokalisiert sind, dann deutet er wahrscheinlich mit dem Zeigefinger auf die Brust.
Ganz anders die Pflanzen. Wenn man das Gänseblümchen oder das Tannenbäumchen fragen könnte, wo sein »Ich« zu finden, wo seine Seele zu Hause ist, würde es sicherlich hinauf zur Sonne oder zum Sternenhimmel zeigen und gleichzeitig hinab zum Erdboden. Denn – wir werden das gleich näher betrachten – die Vegetation empfängt ihre organisierenden und bewegenden Impulse nicht von einem Inneren aus, sondern vornehmlich aus den fernsten Bereichen unserer sinnlich wahrnehmbaren Welt.
Anders ausgedrückt: Als Menschen sind wir in uns abgeschlossene, geistig-seelisch vollständig inkarnierte
Mikrokosmen
. Die Pflanzen dagegen bleiben
makrokosmisch
offen. Sie grenzen sich nicht ab, sie führen kein individualisiertes Innenleben. Wir erleben den Christus oder den Buddha als Archetypus des Menschenwesens im Herzen, in unserem Zentrum. Die Pflanzen, als makrokosmische Wesen, empfinden, daß ihnen ihr Archetypus von den fernen Sternen zustrahlt. Diese Erkenntnis wurde in verschiedenen Kulturen, in der Alten wie in der Neuen Welt, in den Veden ebenso wie bei Platon, in einer bildhaften Imagination veranschaulicht: Die Urpflanze, der Urbaum, läßt sich als ein umgestülptes, von innen nach außen gekehrtes Menschenwesen begreifen. Mensch und Pflanze sind demnach wesensverwandt, sind Modulationen der ungebrochenen Einheit, hier mikrokosmisch »eingefaltet«, da makrokosmisch ausgeweitet. (
Storl 1992:137
) Zwischen beiden Modi findet ein reger Austausch statt.
Stirbt der Mensch, so wird auch er makrokosmisch; sein Geist weitet sich über die Sphären aus, sein Körper geht an die Erde zurück. Auch der Schamane weitet seinen Geist aus, und dabei können ihm die Pflanzen- und Elementarwesen ebenso begegnen wie die Totengeister. Im Gegensatz zum Verstorbenen bleibt er aber nicht da »draußen«; er findet wieder in den Leib, in den
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