Kräuterkunde
manifestieren konnte, wurden die Götterstatuen mit aromatischen Ölen gesalbt. Auch Könige und Priester wurden bei Amtsantritt gesalbt, damit die Götter durch sie wirken und ratschlagen konnten. Jesus, als Vermittler des Höchsten, wurde ebenfalls zum Christos (griech. »der Gesalbte«).
Bei den Griechen galten alle aromatischen Substanzen als göttlichen Ursprungs. Ursprünglich sei es Aphrodite gewesen, die Göttin der vernunftübersteigenden Liebesekstase, die den Menschen diese Pflanzen offenbarte. Und wo diese Kräuter zur Anwendung kommen, wird bald darauf Harmonia, die Tochter der Aphrodite, gezeugt. Sie weilt als Wohlgefühl und Einklang unter den Menschen.
Mit aromatischen Kräutern wurden die Olympier in den Tempeln und auf den Steinaltären empfangen. Mit Basilikum und Minzen fegten die Priester die Altäre des Zeus und des Hermes. Die Römer reinigten die Jupiteraltäre mit Eisenkraut, dessen lateinischer Name
Verbena
ursprünglich »Altarsteinfeger« bedeutete. Verbena ist das Kraut der Schmiede, denen der blitztragende Donnergott hold ist. Als Vorbereitung auf die Begegnung mit den Übersinnlichen nahm man reinigende Bäder mit diesen würzigen Kräutern und salbte sich mit duftenden Ölen. Das traf übrigens auch auf die Kräutersammler zu. Eine Heilpflanze zu holen war kein ordinärer, alltäglicher Akt, sondern eine sakrale Handlung, in der man dem Pflanzengeist gegenübertrat, um ihn um Hilfe und Beistand zu bitten. Dazu gingen die griechischen
Rhizotomen
(Wurzelschneider) in ritueller Nacktheit noch vor Sonnenaufgang, frisch gesalbt und in einem tranceartigen, »heiligen« Zustand zu der Pflanze. Aber schon Theophrast, der griechische »Vater der (rationalen, empirischen) Botanik« und Schüler des Aristoteles, zweifelte den Nutzen dieser Praktiken an: »Daß man Medizinpflanzen vom Winde abgewandt und mit Öl gesalbt oder nachts graben müsse, weil sonst der Leib anschwelle, scheint Unsinn zu sein.«
Aber egal was dieser frühe Rationalist mutmaßt, in allen Kulturkreisen begleiten Duft- und Räucherstoffe den Gang über die Schwelle, die Fahrt über den Totenfluß und den Gang zu den Pflanzendevas.
Gandharva-Meditationen
Für den Pflanzenschamanen ist es unerläßlich, das Riechen, diese vernachlässigte Wahrnehmungsdimension, so weit wie möglich wieder zu aktivieren. Es ist einer der kürzesten Wege zur Kontaktaufnahme mit der Seele der Pflanze. Das bewußte, meditative Riechen an Blüten und duftenden Blättern nenne ich die »Gandharva-Meditation«. Gandharven sind Sylphen, die – wie die indische Mythologie erzählt – ausschließlich von schönen Düften leben. Sie sind es, die den Göttern den berauschenden Somatrunk, den Trank der Unsterblichkeit bereiten. Als Boten der Devas steigen sie zwischen dem Himmel – dem Äther – und der Erde auf und ab. Dabei besuchen sie gerne die Nektarblüten und laben sich an den köstlichen Düften. Auch Räucherstäbchen ziehen sie an. Den Geist des Menschen, der bei duftenden Kräutern, Blumen oder Räuchermitteln meditiert, nehmen sie bereitwillig mit in die ätherischen Sphären und verbinden ihn mit den Devawesen der Pflanzen.
Die feste Burg:
Das Abwehrsystem
und die Heilkräuter
Schlüsselblume
(Primula Veris)
Der Körper wurde oft mit einer Festung verglichen, von der aus der Geist als König und die Seele als Königin regieren. Dieses Bild darf nicht als eine Verpanzerung oder als ein defensives Abgeschottetsein verstanden werden. Im Gegenteil, die Festung ist offen, Kaufleute, Händler, Gaukler, Sänger und andere – das sind die Sinneseindrücke, Informationen, Nährstoffe usw. – gehen frei ein und aus. Und oft – nachts im Traum oder in der ekstatischen Vision – verlassen König und Königin ihren Wohnsitz.
Gelegentlich jedoch gerät diese Burg unter Beschuß. Feinde – Streß, Umweltverschmutzung, ansteckende Krankheiten usw. – bedrohen ihre Integrität. Die Festung hat jedoch ein gut ausgebautes Verteidigungsoder Abwehrsystem, das aus mehreren Schutzwällen und klugen Verteidigungstruppen (Immunzellen) besteht. Dieses Schutzsystem unserer leiblichen Zitadelle wollen wir hier genauer betrachten. Gleichzeitig wollen wir sehen, welche Heilkräuter bei der Verteidigung notwendige Hilfe leisten können.
Der erste Schutzwall: die Haut
Für die meisten von uns ist die Haut lediglich die Grenze ihres Körpers und dient als Verpackung für alles, was an Säften und Geweben im Körper zu finden ist. Wer denkt schon daran,
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