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Kräuterkunde

Kräuterkunde

Titel: Kräuterkunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf-Dieter Storl
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Komponente.
    Die Schwitzhütte galt auch der seelischen Reinigung und Erneuerung. Wasser wurde über glühende Steine gegossen. Die Temperatur der gesättigten Dampfatmosphäre stieg auf zwischen 50 Grad und 60 Grad Celsius, so daß die nackten Menschen aus allen Poren schwitzten. Sie befanden sich sozusagen wieder im heißen Mutterschoß. Das Schwitzen stellte eine vorübergehende Rückkehr zu den Ursprüngen dar, aus denen man dann mit neuer Kraft neu geboren wurde – so etwas wie ein archaisches Rebirthing-Ritual! Die Schwitzhütte verband erneut mit der Seelenhüterin, der Frau Holle. Der schweißtreibende Holunderblütentee, der dazu getrunken wurde, unterstreicht diese Verbindung, denn wie wir schon gesehen haben, war der Holunder dieser Göttin geweiht. Daß die Germanen auch Bilsenkrautsamen auf die glühenden Steine warfen, ist bekannt. (
Bächtold-Stäubli I 1987:829
) Dadurch veränderten sie die gewöhnlichen neurophysiologischen Funktionen, und während ihr Hirn Beta-Endorphine freisetzte, konnten ihnen die Götter und Geister erscheinen. Die Skythen, die westasiatischen indogermanischen Reitervölker benutzten zum gleichen Zweck Hanfrispen in ihren Schwitzhütten. Die Germanen rieben sich beim Schwitzen zudem noch mit Kräutern ein; wir wissen zwar nicht mehr mit welchen, aber vermutlich gehörte der Beifuß mit dazu. Die Badenden peitschten sich mit Birkenreisigbesen. Das fördert die Durchblutung, hat aber auch eine symbolische Bedeutung, denn die Birke, der nord-euroasiatische Schamanenbaum, steht für Geburt, Reinigung und neues Licht. Ab und zu rannten die Teilnehmer hinaus, um zum Abschrecken in kaltes Wasser zu springen oder sich im Schnee zu wälzen. Nur dreimal durfte man wieder in die Schwitzhütte zurück; beim vierten Mal käme der drückende Alp.
    Als archaische, heidnische Rituale wurden solche Schwitzbäder durch Kirchenverordnungen verboten, und später war ohnehin vielerorts nicht mehr genügend Brennholz vorhanden. Dennoch schwitzte das Landvolk weiter seine Krankheiten und die Krankheitsgeister hinaus, und zwar im Backofen. Der Bauernphilosoph Arthur Hermes erzählt, daß noch in seiner Jugend, um die Jahrhundertwende, Kranke in dicke Wolldecken gewickelt und, nach dem das Brot herausgenommen war, in den heißen Ofen geschoben wurden. Besonders bei Wassersucht, Rheuma (Reißen), Fieber und allen Hauterkrankungen wurde diese Kur verordnet. Auch blasse, kränkelnde Kinder ließ man im Backofen »nachbacken«. Bei den archaischen Völkern galt die Feuerstelle, der Ofen oder der Herd als der bevorzugte Aufenthaltsort der Ahnengeister. Durch das Rauchloch, das »Windauge«, stiegen sie ein und aus – wie übrigens auch die Götter – der Weihnachtsmann tut es noch immer. Der Ofen ist also auch ein Tor zur Anderswelt, zur Welt der Seelenmutter Holle. Das Symbol taucht auch im Märchen von Frau Holle auf, und zwar als Backofen, in dem die Brotleibe darum bitten, herausgenommen zu werden.
    Der Schwitzhütte, die als Therapeutikum allmählich wiederentdeckt wird, begegneten die weißen Siedler erneut bei den Indianern. Wasserscheue spanische Eroberer lieferten die ersten Berichte über solche
Temazcalli
(Schwitzbäder) bei den Azteken. Captain John Smith, dem Gründer der Jamestown Kolonie in Virginia, verdanken wir einen ausführlichen Bericht (1612) über die Schwitzhütte. Die Indianer tranken darin große Mengen der Wurzelabkochung des Sassefras-Baumes sowie andere Kräutertees, die er aber nicht identifiziert. Da die Indianer diese Kur auch bei Geschlechtskrankheiten anwendeten, glaubte Smith, Sassefras könne dem nach Europa eingeführten Guaiakholz profitable Konkurrenz machen.
    Die Schwitzhütte, die bei den Indianern der Rocky Mountains noch immereine zentrale Rolle spielt, hat wie das Dampfbad unserer Vorfahren eine starke rituell-magische Komponente. Die Hütte, die teilweise im Boden versenkt ist, stellt den Schoß von Mutter Erde dar. Die Weidenzweige, über die Decken und Büffelfelle gespannt werden, sind ihre Rippen, die Schwitzenden sind ihre Kinder, die erneuert und gekräftigt aus ihr wiedergeboren werden. Die Hütte ist gleichzeitig ein Abbild des Kosmos, die Decken sind das Himmelszelt, die erhitzten Steine in der Mittestellen die Weltmitte dar, das Feuer ist die Kraft der Sonne. Die Schwitzhütte, die sich nach Osten, in Richtung der aufgehenden Sonne öffnet, ist ein vollkommen sakraler Ort. Wie alle heiligen Orte ist er mit dem duftenden Steppenbeifuß (Sagebrush)

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