Kraft des Bösen
Anflug von Tra u rigkeit.
Nac h ei n paa r Minute n macht e Natali e selbs t di e Auge n zu, al s wollt e si e sic h di e Szene n vorstellen , di e Sau l mi t seiner leisen, seltsam angenehmen, seltsam traurigen Stimme schi l derte.
»I m Winte r 194 2 ga b e s kein e Fluchtmöglichkei t fü r eine n J u d e n i n Polen . Ic h wandert e wochenlan g durc h di e Wälde r nör dlic h un d südlic h vo n Lodz . Mei n Fu ß hört e schließlic h au f zu bluten, aber eine Infektion schien unvermeidlich. Ich wusch die Wund e mi t Moo s aus , verban d si e mi t Fetze n un d stolperte weiter . Di e lan g e Schürfwunde an der rechten Seite und am Oberschenke l pocht e noc h tagelang , wa r abe r bal d mi t Schorf überzogen . Ic h stah l Esse n vo n Bauernhäusern , hiel t mic h von de n Straße n fer n un d mie d di e wenige n Gruppe n polnischer Partisanen, die in den Wäldern agierten. Die Partisanen hätten eine n Jude n s o schnel l erschosse n wi e di e Deutschen.
Ich weiß nicht, wie ich diesen Winter überlebt habe. Ich kan n mic h a n zwe i Bauernfamilie n erinner n Christen –, die erlaubten , da ß ic h mic h au f ihre n Heuschober n versteckte , u nd mi r z u esse n brachten , obwoh l si e selbe r fas t nicht s hatten.
I m Frühlin g zo g ic h nac h Süde n un d versuchte , Onke l M o i sches Bauernhof bei Krakau zu erreichen. Ich hatte keine P a piere , konnt e mic h abe r eine m Arbeitstrup p anschließen , der fü r di e Deutsche n Verteidigungsanlage n i m Oste n gebau t hatte und zurückkehrte. Im Frühjahr 1943 gab es keinen Zweifel, da ß di e Rot e Arme e bal d au f polnische n Bode n vordringen würde.
Ic h wa r ach t Kilomete r vo n Onke l Moische s Bauernho f e n t fernt , al s eine r de r Arbeite r mic h a n zeigte . Ic h wurd e vo n der polnische n Polize i verhaftet , di e mic h dre i Tag e lan g verhörte, abe r ic h glaub e nicht , da ß si e wirklic h Antworte n wollten , s o n dern nur Ausreden für die Prügel suchten, die sie mir vera b reichten. Dann übergaben sie mich den Deutsc h en.
Die Gestapo interessierte sich nicht für mich; wahrsche i n lic h dachte n sie , ic h wär e eine r vo n viele n Juden , di e au s den Städte n geflohe n ode r de n Transporte n entgange n waren . Das deutsch e Net z fü r Jude n hatt e viel e Löcher . Wi e i n s o vielen besetzte n L ä nder n macht e e s lediglic h di e bereitwillig e Koop e ratio n de r Pole n de n Jude n s o gu t wi e unmöglich , ihrem Schicksa l i n de n Konzentrationslager n z u entgehen.
Au s unerfindliche n Gründe n wurd e ic h nac h Oste n g e schickt . Nich t nac h Auschwit z ode r Chelmn o ode r Be l ze c oder Treblinka , di e allesam t nähe r gewese n wären , sonder n durch gan z Polen . Nac h vie r Tage n i n eine m geschlossene n Güte r waggo n vie r Tage , i n dene n ei n Dritte l de r Mensche n im Waggo n starbe n wurde n di e Türe n aufgerissen , un d wi r st o l perten hinaus, b linzelte n i m ungewohnte n Lich t unte r Tränen un d stellte n fest , da ß wi r un s i n Sobibo r befanden.
I n Sobibo r sa h ic h de n Standartenführe r wieder.
Sobibo r wa r ei n Vernichtungslager . Hie r ga b e s kein e Fab rike n wi e i n Auschwit z ode r Belsen , kein e Versuch e de r T ä u schun g wi e i n Theresienstad t ode r Chelmno , kein e ironischen Parole n wi e Arbeit macht frei übe r de n Toren , wi e a n s o vielen Pforte n zu r Höll e de r Nazis . 194 2 un d 194 3 unterhielte n die Deutsche n sechzeh n riesig e Konzentrationslage r wi e Aus c h witz , meh r al s fünfzi g kleinere , Hundert e Arbeitslager , abe r nur dre i ›Vernichtungslager‹ , di e ausschließlic h zu m Morde n g e dach t waren : Belzec , Treblink a un d Sobibor . I n de n kurzen zwanzig Monaten ihrer Existenz starben über zwei Millionen Jude n dort.
Sobibo r wa r ei n kl e ine s Lage r kleiner als Chelmno und a m Flu ß Bu g gelegen . Diese r Flu ß hatt e vo r de m Krie g die östlich e Grenz e vo n Pole n gebildet , un d i m Somme r 194 3 trieb di e Rot e Arme e di e Wehrmach t wiede r dorthi n zurück . Wes t lic h vo n Sobibo r la g di e Wildni s de s Parcze wwaldes , de s W a l de s de r Eulen.
Der gesamte Komplex von Sobibor hätte auf drei oder vier amerikanisch e Footbal l - Plätze gepaßt. Aber seine Aufgabe führt e da s Lage r überau s effizien t aus , un d di e bestan d schlicht un d einfac h darin , Himmler s Endlösun g i n di e T a t umzusetzen.
Ic h rechnet e fes t damit , da ß ic h dor t sterbe n würde . Wir
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