Kraft des Bösen
wurde n vo n de n Transportzüge n weggetrieben , hinte r ein e H e cke und einen Korridor aus Stacheldraht entlang. Sie hatten Stro h zwische n de m Drah t aufgeschichtet , s o da ß wi r lediglich ein e n hohe n Wachturm , Baumwipfe l un d zwe i Backste i n schornstein e unmittelba r vo r un s erkenne n konnten . Drei Schilder im Depot wiesen den Weg: KANTINE ? DUSCHEN ? STRASS E ZU M HIMMELREIC H ? . Jemand in Sobibor hatte das ausgedrückt, was die SS für Humor hielt. Wir wurden z u de n Dusche n geschickt.
Di e Jude n de r französische n un d holländische n Transporte trottete n a n diese m Ta g fügsa m dahin , abe r sowei t ic h mich erinnern kann, mußten die polnischen Juden mit Gewehrkolben un d Flüche n angetriebe n werden . Ei n alte r Man n i n meiner Näh e schri e jede m Deutsche n Verwünschunge n entgege n und schüttelte die Fäuste nach den SS - Männern, die uns den Befehl zu m Ausziehe n gaben.
Ich kann Ihnen nicht begreiflich machen, was ich empfand, al s wi r di e Duschkabin e betraten . Ic h verspürt e kein e Wu t und kau m Angst . Da s überwiegend e Gefüh l wa r wahrscheinlich Erleichterung . Fas t vie r Jahr e lan g wa r ic h vo n eine m einzigen Befeh l getriebe n worde n Ich werde leben –, un d u m diesem Befeh l Folg e z u leisten , hatt e ic h mi t angesehen , wi e meine Land s leute , mein e Judenbrüde r un d mein e Famili e i n de n R a che n diese r obszöne n deutsche n Vernichtungsmaschineri e g e triebe n worde n waren . Ic h hatt e zugesehen . I n gewisse r H in sich t hatt e ic h mitgeholfen . Jetz t konnt e ic h mic h ausruhen . Ich hatt e mei n Möglichste s g etan , z u überleben , un d nu n wa r es vorbei . Ic h bedauert e nur , da ß e s mi r nich t vergönn t gewesen war, den Standartenführer statt des alten Mannes zu töten. In diese m Augenblic k repräsentiert e de r Standartenführer s alles Böse , wa s mic h a n diese n Or t gebrach t hatte. Das Gesicht des Standartenführer s hatt e ic h vo r Augen , al s si e i m Jun i 194 3 die schwer e Tü r de r Duschkabin e zumachten.
Wi r stande n dich t gedrängt . Männe r schubste n un d schrien un d stöhnten . Ein e ganz e Minut e lan g gescha h ga r nichts , dann rasselte n un d vibrierte n di e Rohrleitungen . Di e Dusche n se t z te n ein , di e Männe r drängte n sic h davo n weg . Ic h nicht . Ich stan d direk t unte r eine m Duschkop f un d ho b ih m da s Gesicht entgegen . Ic h dacht e a n mein e Familie . Ic h wünschte , ic h hätte mic h vo n meine r Mutte r u n d meine n Schwester n verabsch i e det . I n diese m Augenblic k began n endlic h de r Ha ß z u strömen.
Ich konzentrierte mich auf das Gesicht des Standartenführers, währen d di e Wu t wi e ein e offen e Flamm e i n mi r brannt e und Männe r schrien , al s di e Leitunge n bebte n un d klapperte n und ihre n Inhal t au f un s ergossen.
E s wa r Wasser . Wasser . Di e Dusche n dieselbe n Duschen, di e jede n Ta g s o viel e Tausend e umbrachte n wurde n einmal im Monat tatsächlich als Duschen für ein paar Gruppen b e nützt. Der Raum wurde geöffnet. Wir w u rden hinausgeführt un d entlaust . Unser e Köpf e wurde n rasiert . Ma n ga b mi r einen Gefängnisoverall. Eine Nummer wurde mir auf den Arm tät owiert . A n Schmerze n kan n ic h mic h nich t erinnern.
I n Sobibor , w o si e s o gründlic h viel e Tausend e täglic h e r mordeten , wä h lten sie jeden Monat ein paar Gefangene aus, die die Wartung des Lagers und sonstige Aufgaben übernahmen. Unse r Transpor t wa r auserwähl t worden.
In diesem Augenblick imme r noc h betäubt , imme r noch nich t berei t z u glauben , da ß ic h wiede r in s Lich t heraus g ekomme n wa r wurd e mi r klar : Ic h wa r auserwähl t worden, irgendein e Aufgab e z u erfüllen . Ic h weigert e mic h imme r noch, a n eine n Got t z u glaube n jede r Gott , de r Sei n Vol k derar t im Stic h ließ , verdient e meine n Glaube n nich t –, abe r vo n diesem Augenblic k a n glaubt e ich , da ß e s eine n Grun d fü r mei n fo r t dauernde s Überlebe n gebe n mußte . Diese n Grun d konnt e ich mi t de m Bil d vo m Gesich t de s Standartenführer s ausdrücken, mi t de m vo r Auge n ic h z u sterbe n berei t gewese n war . Das Ausma ß de s Bösen , da s übe r mei n Vol k gekomme n war , war s o groß , da ß e s nieman d scho n ga r nich t ei n siebzehnjähriger Jung e begreifen konnte. Aber die Obszönität der Existenz des Standartenführer s konnt e ic h begreifen . Ic h würd e leben .
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