Kraft des Bösen
erkennen. Jenseits des Hafens im Osten konnte man die Straßenlaternen von Mount Pleasant sehen. Ein kleines Boot mit roten und grünen Positionslichtern fuhr nach Westen an diesem Punkt vorbei und folgte den Bojen des Intracoastal Waterway. Hinter Saul, Natalie und Gentry erstrahlten die hohen Fenster von zwanzig stattlichen Villen orangefarben und gelb in der Nacht.
An der Battery-Mauer blieben sie stehen. Wasser plätscherte drei Meter tiefer gegen die Steine. Gentry sah sich um, vergewisserte sich, daß niemand in der Nähe war, und sagte mit leiser Stimme: »Also, was machen wir als nächstes, Professor?«
»Ausgezeichnete Frage«, sagte Saul. »Vorschläge?«
»Hat Ihre Reise nach Washington etwas mit dem zu tun . wovon wir gesprochen haben?« fragte Natalie.
»Möglich«, sagte Saul. »Wahrscheinlich. Nach dem Treffen werde ich es wissen. Tut mir leid, daß ich nicht deutlicher werden kann. Es geht um ... einen Familienangehörigen.«
»Was ist mit diesem Typen, der mir gefolgt ist?« fragte Gentry.
»Ja«, sagte Saul. »Hat Ihnen das FBI seinen Namen nennen können?«
»Nichts«, sagte der Sheriff. »Das Auto wurde in Rockville, Maryland, als gestohlen gemeldet, und zwar schon vor fünf Monaten Aber keine Anhaltspunkte über den Toten. Keine Fingerabdrücke, zahnmedizinische Unterlagen - nichts.«
»Ist das nicht ungewöhnlich?« fragte Natalie.
»Fast unerhört«, sagte Gentry. Er hob einen Kieselstein auf und warf ihn in die Bucht. »In der heutigen Gesellschaft hinterläßt jeder irgendwelche Spuren.«
»Vielleicht bemüht sich das FBI nicht genug«, sagte Saul. »Ist das Ihre Theorie?«
Gentry warf noch einen Kieselstein und zuckte die Achseln. Er hatte Zivilkleidung getragen - braune Hosen und ein altes kariertes Hemd -, aber vor dem Spaziergang am Strand hatte er die schwere Sheriffsjacke und den schweißfleckigen Hut aus dem Kofferraum geholt, und jetzt war er wieder das Ebenbild des Südstaatensheriffs. »Ich glaube nicht, daß das FBI einen halbverhungerten Tölpel von der Straße so benützen würde«, sagte er. »Und wenn der Typ nicht für sie arbeitet, wer sollte ihn dann benützen? Und weshalb brachte er sich lieber selbst um, statt sich verhaften zu lassen?«
»Das würde der Art entsprechen, wie der Standartenführer jemanden benützt«, sagte Saul. »Oder, wahrscheinlicher, diese Fuller.«
Gentry warf noch einen Kiesel und sah blinzelnd zu den zwei Meilen entfernten Lichtern von Fort Sumter. »Ja«, sagte er, »aber das ergibt keinen Sinn. Ihr Standartenführer dürfte sich nicht für mich interessieren - verdammt, ich hatte noch nie von ihm gehört, bis Sie mir Ihre Geschichte erzählt haben, Saul. Und wenn sich Miz Fuller Gedanken macht, wer hinter ihr her sein könnte, dann sollte sie sich besser um die State Highway Patrol, die Jungs von der städtischen Mordkommission und das FBI kümmern. Dieser Typ hatte nichts in seiner Brieftasche, außer einem Bild von mir.«
»Haben Sie es bei sich?« fragte Saul.
Gentry nickte, holte es aus der Jackentasche und gab es dem Psychiater. Saul ging zur nächsten Laterne, damit er mehr Licht hatte. »Interessant«, sagte Saul. »Ist das die Fassade des City-County Building hinter Ihnen?«
»Eindeutig.«
»Deutet etwas an dem Foto darauf hin, wann es aufgenommen wurde?«
»Woll«, sagte Gentry. »Sehen Sie das Pflaster da an meinem Kiefer?«
»Ja.«
»Ich benütze das Rasiermesser von meinem Daddy - das früher seinem Daddy gehört hat -, schneide mich aber nicht allzuoft beim Rasieren. Aber letzten Sonntagmorgen, als Lester einer meiner Deputies - mich so früh angerufen hat habe ich mich geschnitten. Ich habe das Pflaster fast den ganzen Tag getragen.«
»Sonntag«, sagte Natalie.
»Ja, Ma’am.«
»Wer Ihnen also folgen wollte, hat dieses Foto aufgenommen . sieht wie ein Fünfunddreißig-Millimeter aus, korrekt?«
»Woll.«
»Hat am Sonntag ein Foto von Ihnen von der anderen Straßenseite aus gemacht und ist Ihnen ab Donnerstag gefolgt.«
»Woll.«
»Könnte ich das Foto sehen, bitte?« fragte Natalie. Sie studierte es eine Zeitlang unter dem Licht, dann sagte sie: »Wer immer es gemacht hat, hat eine automatische Blende benützt - Sie sehen, die Tür im Sonnenlicht ist besser entwickelt als Ihr Gesicht. Wahrscheinlich eine Zweihundert-Millimeter-Linse. Das ist ziemlich groß. Der Abzug wurde in einer privaten Dunkelkammer gemacht, nicht in einem Fotolabor.«
»Woher wissen Sie das?« fragte Gentry.
»Sehen Sie, wie das
Weitere Kostenlose Bücher