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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Rennpferden an den Wänden ein. »Das war George Hodges’ Zimmer«, sagte Gentry. Der Sheriff griff nach einem Briefmarkenalbum, blätterte behutsam die starren Seiten um und nahm ein Vergrößerungsglas zur Hand. »Der arme Kerl hat nie jemand etwas zuleide getan. War dreißig Jahre Schalterbeamter im Postamt und die letzten neun Jahre Nachtwächter unten im Jachthafen. Dann passiert diese Sache ...« Gentry schüttelte den Kopf. »Wie dem auch sei, Mrs. Hodges sagt, bis vor etwa drei Jahren besaß George eine Kamera und hat regelmäßig fotografiert. Sie war sicher, daß sich Miz Fuller nie von ihm fotografieren ließ - behauptete, die alte Dame weigerte sich unerbittlich, sich fotografieren zu lassen -, aber George hat jede Menge Dias gemacht, und Mrs. Hodges kann nicht ausschließen, daß irgendwo ein Schnappschuß von Melanie Fuller dabei ist .«
    »Also soll ich die Dias durchsehen, ob sie dabei ist«, sagte Natalie. »Gerne. Aber ich habe Melanie Fuller nie gesehen.«
    »Klar«, sagte Gentry. »Ich gebe Ihnen eine Kopie der Beschreibung, die wir ausgegeben haben. Sie müssen einfach alle Fotos aussortieren, die Damen um die Siebzig zeigen.« Pause. »Hätten Sie oder Ihr Vater einen Leuchttisch oder ein Diasichtgerät?«
    »Unten im Atelier«, sagte Natalie. »Einen großen Leuchttisch, etwa einsachtzig lang. Aber könnte ich nicht einfach einen Projektor benützen?«
    »Dürfte mit dem Leuchttisch schnellergehen«, sagte Gentry und machte die Schranktür auf.
    »Gütiger Himmel«, sagte Natalie.
    Der Schrank war riesig und mit selbstgemachten Regalböden ausgestattet worden. Auf der linken Seite befanden sich Alben und Kartons mit der Aufschrift Briefmarken, aber die Rückwand und die rechte Seite waren vom Boden bis zur Decke mit langen Kisten vollgestopft, in denen sich gelbe Kodak- Diabehälter befanden. Natalie peilte kurz über den Daumen und sah Gentry an. »Das sind Tausende«, sagte sie. »Möglicherweise Zehntausende.«
    Gentry hob die Arme mit nach oben gerichteten Handflächen und schenkte ihr sein breitestes, jungenhaftestes Grinsen. »Ich habe doch gesagt, es wäre eine Aufgabe für Freiwillige«, meinte er. »Ich würde einen Deputy darauf ansetzen, aber der einzige Deputy, den ich frei habe, ist Lester, und der ist sozusagen ein Schwachkopf - wirklich netter Junge, aber ungefähr so hell wie ein Mauerstein im Eisenbahntunnel -, und ich fürchte, er könnte sich nicht lange genug konzentrieren.«
    »Hmm«, sagte Natalie. »Keine gute Werbung für Charlestons beste Männer.«
    Gentry grinste sie weiter an.
    »Ach was«, sagte Natalie. »Ich habe nichts anderes zu tun, und das Atelier ist frei, bis Lorne Jessup - der Anwalt meines Vaters - es an die Leute mit der Konzession für Shutterbug Shops vermittelt oder das ganze Haus verkauft hat. Okay, fangen wir an.«
    »Ich helfe Ihnen, die Kartons zum Auto zu tragen«, sagte Gentry.
    »Tausend Dank«, entgegnete Natalie. Sie schnupperte an der Rose und seufzte.
    Es waren Tausende Dias, und jedes war auf der Stufe Amateurschnappschuß oder darunter. Natalie wußte, wie schwer es war, wirklich gute Fotos zu machen - sie hatte jahrelang versucht, ihren Vater zufriedenzustellen, nachdem dieser ihr die erste Kamera zum neunten Geburtstag geschenkt hatte, eine billige manuelle Yashica -, aber um Himmels willen, wenn jemand Tausende Fotos über einen, wie es aussah, Zeitraum von zwei oder drei Jahrzehnten hinweg machte, müßten doch zumindest eine oder zwei interessante Aufnahmen dabeisein.

Nicht bei George Hodges. Da waren Familienaufnahmen, Urlaubsbilder, Bilder der Familie im Urlaub, Bilder von Häusern und Booten, Bilder von Hausbooten, Bilder von besonderen Ereignissen, Ferienbilder - mit der Zeit sah Natalie jeden Weihnachtsbaum der Hodges von 1948 bis 1977 - und Alltagsbilder, aber jedes einzelne besaß bestenfalls die Qualität eines Schnappschusses, wenn nicht weniger. In achtzehn Jahren des Fotografierens hatte George Hodges nicht gelernt, nicht in die Sonne zu fotografieren, seine fotografierten Personen nicht in die Sonne blinzeln zu lassen, seine Personen nicht vor Bäume oder Pfähle oder andere Gegenstände zu stellen, die aus Ohren und überholten Frisuren und Dauerwellen zu wachsen schienen, den Horizont nicht schräg zu machen, seine Personen nicht in steife Posen zu stellen oder unbelebte Gegenstände aus scheinbar meilenweiter Entfernung aufzunehmen, sich nicht auf den Blitz zu verlassen, wenn er Gegenstände oder Personen sehr dicht

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