Kraft des Bösen
sie das Haus das jetzt so dunkel wie das Nachbarhaus war, nachdem Mrs. Hodges, die Nachbarin, weggezogen war - und dachte an den vergangenen Dienstag, als sie dem Mann mit dem Bart ins Haus gefolgt war.
Saul Laski. Er sollte sich leicht in ein Klischeebild zwängen lassen, ließ sich aber nicht. Natalie dachte an seine traurigen Augen und die sanfte Stimme und fragte sich, wo Saul stecken mochte. Was war im Gange? Er hatte versprochen, jeden zweiten Tag anzurufen, aber weder sie noch Gentry hatten von ihm gehört, seit sie sich am Freitag auf dem Flughafen von Charleston von ihm verabschiedet hatten. Gestern, am Dienstag, hatte Gentry Sauls Privat- und Geschäftsnummer angerufen. Zu Hause nahm niemand ab, und in der Psychologischen Fakultät der Columbia sagte eine Sekretärin, daß Dr. Laski bis zum sechsten Januar in Urlaub sei. Nein, Dr. Laski hatte sich nicht in seinem Büro gemeldet, seit er am sechzehnten Dezember nach Charleston aufgebrochen war, aber am sechsten Januar würde er auf jeden Fall wieder hier sein. Dann fingen seine Vorlesungen an.
Am Sonntag, als sie und Gentry in seinem Arbeitszimmer saßen und sich unterhielten, hatte Natalie dem Sheriff einen Zeitungsausschnitt aus Washington, D.C., über eine Explosion im Büro eines Senators in der Nacht zuvor gezeigt. Vier Menschen waren ums Leben gekommen. Konnte das etwas mit Sauls geheimnisvollem Treffen am selben Tag zu tun haben?
Gentry hatte gelächelt und sie daran erinnert, daß ein Wachmann des Executive Office Building beim selben Vorfall getötet worden und die Washingtoner Polizei wie auch das FBI überzeugt waren, daß es sich um eine isolierte terroristische Aktion gehandelt hatte, daß keiner der vier Toten als Saul Laski identifiziert worden war und daß zumindest ein Teil der hirnlosen Brutalität in der Welt nichts mit dem Alptraum zu tun haben konnte, den Saul beschrieben hatte.
Natalie hatte zustimmend gelächelt und ihren Scotch getrunken. Drei Tage später hatten sie immer noch keine Nachricht von Saul.
Am Montagmorgen hatte Gentry sie von der Arbeit angerufen.
»Würden Sie uns gern bei den offiziellen Ermittlungen der Morde im Mansard House helfen?« hatte er gefragt.
»Selbstverständlich«, hatte Natalie gesagt. »Was kann ich tun?«
»Nun, es geht darum, ein Foto von Miz Melanie Fuller zu finden«, sagte Gentry. »Laut den Burschen von der städtischen Mordkommission und dem hiesigen Büro des FBI existieren keine Bilder der Dame. Sie konnten keine Verwandten finden, die Nachbarn haben gesagt, sie hätten kein Bild von ihr, und eine Durchsuchung des Hauses hat auch keine zutage gefördert. Sie konnten lediglich eine Beschreibung mit der Suchmeldung herausgeben. Ich finde, es könnte nützlich sein, ein Bild von ihr zu haben, Sie nicht auch?«
»Und was kann ich dazu tun?« fragte Natalie.
»Wir treffen uns in fünfzehn Minuten vor dem Fuller- Haus«, sagte Gentry. »Sie erkennen mich, weil ich eine rote Rose im Knopfloch trage.«
Als Gentry eintraf, hatte er tatsächlich eine Rose im Knopfloch seines Uniformhemds lecken. Diese reichte er ihr mit einer ausholenden Geste, als sie sich dem verschlossenen Tor zum Anwesen Melanie Fullers näherten.
»Wie habe ich das verdient?« fragte Natalie und roch an der hellrosa Blume.
»Es könnte die einzige Bezahlung sein, die Sie für eine lange, frustrierende und wahrscheinlich vergebliche Suche bekommen«, sagte Gentry. Er zog einen riesigen Schlüsselring aus der Tasche, wählte einen altmodischen aus und schloß das Tor auf.
»Wollen wir das Fullersche Haus noch einmal durchsuchen?« fragte Natalie. Sie verspürte einen seltsamen Widerwillen, das Haus noch einmal zu betreten. Sie erinnerte sich, wie sie Saul vor fünf Tagen hineingefolgt war. Natalie erschauerte trotz der Wärme.
»Nee«, sagte Gentry und führte sie über den kleinen Vorplatz zu dem anderen Backsteingebäude im selben Hof. Er suchte an dem Ring nach einem weiteren Schlüssel und sperrte die geschnitzte Holztür auf. »Nach dem Tod ihres Mannes und ihrer Enkeltochter ist Ruth Hodges zu ihrer Tochter im Neubaugebiet Sherwood Forest am Westende der Stadt gezogen. Ich habe ihre Erlaubnis, die Sachen mitzunehmen.«
In Innern war es dunkel - geöltes Holz und alte Möbel -, aber es fehlte die stickige, unbewohnte Atmosphäre, die Natalie in der Villa Fuller wahrgenommen hatte. Im ersten Stock schaltete Gentry eine Tischlampe in einem kleinen Zimmer mit Schreibtisch, Sofa und großen Kunstdrucken von
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