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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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vor der Linse oder sehr weit davon entfernt fotografierte, und nicht die ganze Person bei seinen Porträts aufzunehmen.
    Diese letzte Amateurangewohnheit führte schließlich dazu, daß Natalie Melanie Fuller entdeckte.
    Es war nach sieben, Gentry war einmal mit chinesischem Essen im Atelier gewesen, das sie am Leuchttisch aßen, und Natalie zeigte ihm ihren kleinen Stapel in Frage kommender Personen, »Ich glaube nicht, daß sie eine der älteren Damen ist«, sagte sie. »Alle posieren bereitwillig, und die meisten scheinen zu jung oder zu alt zu sein. Wenigstens hat Mr. Hodges die Schachteln jahresweise beschriftet.«
    »Ja«, sagte Gentry, der die Dias zu einer kurzen Begutachtung auf den Leuchttisch legte. »Davon paßt keine so richtig auf die Beschreibung. Frisur nicht richtig. Mrs. Hodges sagte, daß Miz Fuller seit den sechziger Jahren mindestens dieselbe Frisur getragen hat. Irgendwie gelockt und kurz und blau getönt. Sieht so aus, als würden Sie sich momentan genau so fühlen, wie sie ausgesehen hat.«
    »Danke«, sagte Natalie, lächelte aber, als sie den weißen Pappkarton mit süß-saurem Schweinefleisch abstellte und das Gummiband einer weiteren gelben Schachtel löste. Sie legte die Dias nacheinander heraus. »Das Schwerste ist, nicht einfach die ganze Kiste in den Müll zu werfen, wenn man damit durch ist«, sagte sie. »Glauben Sie, Mrs. Hodges wird sich die eines Tages einmal ansehen?«
    »Wahrscheinlich nicht«, sagte Gentry. »Sie sagte, ein Grund, weshalb George schließlich das Fotografieren aufgegeben hat, war der, daß sie nie seine Dias ansehen wollte.«
    »Kann ich überhaupt nicht verstehen«, sagte Natalie und breitete die dreihundertste Serie Fotos von Sohn Lawrence und Schwiegertochter Nadine aus - die meisten Dias waren beschriftet -, die im Garten standen und ins grelle Sonnenlicht blinzelten, während sie das blinzelnde Baby Laurel in die Höhe hielten und die dreijährige Kathleen am viel zu kurzen Rock ihrer Mutter zupfte und ebenfalls blinzelte. Lawrence trug weiße Socken zu seinen schwarzen Schuhen. »Moment mal«, sagte Natalie.
    Gentry reagierte auf den plötzlich aufgeregten Tonfall ihrer Stimme, legte die anderen Dias weg und beugte sich nach vorn. »Was?«
    Natalie deutete mit dem Finger auf das zehnte Bild der Reihe. »Da. Sehen Sie das. Zwei Personen. Der große kahle Mann, ist das nicht . wie hieß er?«
    »Mr. Thorne«, sagte Gentry, »alias Oscar Felix Haupt. Ja, ja, ja. Und diese Dame mit dem altbackenen Kleid und den kurzen blauen Locken ... Tja, hallo, Miz Fuller.« Beide beugten sich näher hin und studierten das Bild mit einem starken Vergrößerungsglas.
    »Sie hat nicht gemerkt, daß die Gruppe fotografiert wurde«, sagte Natalie leise.
    »Hm-hmm«, stimmte Gentry zu. »Ich frage mich, warum.«
    »Wenn ich mir überlege, wie oft dieses spezielle Gruppenbild vorhanden ist«, sagte Natalie, »könnte ich vermuten, daß Mr. Hodges seine Familie etwa zweihundert Tage im Jahr da draußen aufgestellt hatte. Miz Fuller hat wahrscheinlich geglaubt, sie wären Statuen im Garten.«
    »Ja«, sagte Gentry mit einem breiten Grinsen. »He, könnten Fotoabzüge davon etwas werden? Nur sie, meine ich.«
    »Eigentlich ja«, sagte Natalie in einem völlig anderen Tonfall. »Sieht so aus, als hätte er Kodachrome 64 für Tageslicht benützt, den kann man stark vergrößern, bis die Körnung zu schlimm wird. Machen Sie einen Internegativabzug für den besten Druck. Schneiden Sie hier und hier und hier, und Sie haben ein eins a Dreiviertelprofil.«
    »Toll!« sagte Gentry. »Sie haben prima Arbeit geleistet. Wir werden . he, was ist denn los?«
    Natalie sah zu ihm auf und hielt ihre Oberarme fester umklammert, damit sie nicht so zitterte. Aber sie hörte nicht auf. »Sie sieht nicht so alt aus, als wäre sie siebzig oder achtzig«, sagte sie.
    Gentry sah wieder das Dia an. »Es wurde - mal sehen - vor rund fünf Jahren aufgenommen, aber nein, Sie haben recht. Sie sieht - wie sechzig oder so aus. Aber im Grundbuchamt ist vermerkt, daß sie das Haus schon in den zwanziger Jahren besessen hat. Aber das kümmert Sie nicht so sehr, oder?«
    »Nein«, sagte Natalie. »Ich habe so viele Bilder der kleinen Kathleen gesehen. Ich vergesse immer wieder, daß das Kind tot ist. Und ihr Großvater - der die Fotos gemacht hat - ist auch tot.«
    Gentry nickte. Er sah Natalie an, die das Dia betrachtete. Er hob die linke Hand in Richtung ihrer Schulter, ließ sie aber wieder sinken. Natalie

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