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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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war nur halb voll, daher mußte ich sie mit einer Decke ausstopfen, die ich im Schrank fand, damit nichts verrutschte - und legte mich zu einem Nickerchen hin, bevor die Limousine mich um 15 Uhr 16 zum Flughafen bringen würde. Ich fand es angenehm, wie sich die schwarzen Ziffern geschmeidig auf dem grauen Hintergrund meines neuen Reiseweckers veränderten. Ich hatte keine Anung, wie das Spielzeug funktionierte. Es gab vieles im letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts, das ich nicht verstand, aber das spielte keine Rolle. Ich schlief mit einem Lächeln auf den Lippen ein.
    Der Flughafen von Atlanta war wie jeder andere größere Flughafen auch, und ich bin schon in den meisten gewesen. Ich vermißte die großen Bahnhöfe, die es vor Jahrzehnten gegeben hatte: die marmorgetäfelte, sonnige Würde vom Grand Central in seinen besten Zeiten, die luftige Majestät des Berliner Bahnhofs vor dem Krieg, sogar der architektonische Overkill und das ländliche Chaos der Victoria Station in Bombay. Der Flughafen von Atlanta war Inbegriff des klassenlosen Reisens: endlose gekachelte Durchgänge, Sitze aus Gußplastik und reihenweise Videomonitore, die stumm Auskunft und Abflüge verkündeten. Auf den Fluren drängten sich hektische Geschäftsleute und laute, schwitzende Familien in pastellfarbenen Fetzen. Einerlei. In zwanzig Minuten würde ich frei sein.
    Mein Gepäck wurde durchsucht, abgesehen von Handgepäck und Handtasche. Ein Bediensteter der Fluggesellschaft brachte mich mit einem kleinen Elektrowägelchen zum Ende des Rundgangs. Tatsächlich machte mir meine Arthritis zu schaffen, und meine Beine schmerzten nach den Anstrengungen vom Samstag. Ich checkte in der Abflughalle noch einmal ein, vergewisserte mich, daß ich im Nichtraucherbereich der ersten Klasse saß, und nahm Platz, um die letzten paar Minuten bis zum Betreten des Flugzeugs zu warten.
    »Mrs. Fuller. Melanie Fuller. Bitte nehmen Sie das nächste weiße Telefon in Ihrer Nähe ab.«
    Ich lauschte erstarrt. Das öffentliche Lautsprechersystem murmelte unablässig seit meiner Ankunft, Leute wurden ausgerufen, es wurde bekanntgegeben, daß Autos, die im Halteverbot parkten, abgeschleppt und zur Anzeige gebracht werden würden, und man lehnte die Verantwortung für religiöse Fanatiker ab, die wie Rudel Schakale mit ihren Broschüren durch die Schalterhallen jagten. Es konnte sich nur um einen Fehler handeln! Wenn mein Name tatsächlich aufgerufen worden wäre, hätte ich es schon früher hören müssen. Ich saß stocksteif da, wagte kaum zu atmen und hörte zu, wie die geschlechtslose Stimme ihre Litanei von Namen aufrief. Ich entspannte mich ein wenig, als ich hörte, wie eine Miß Reneé Fowler aufgerufen wurde. Ein verständlicher Irrtum. Meine Nerven waren schon seit Tagen zum Zerreißen gespannt. Das >Wiedersehen< ging mir seit dem Frühherbst nicht mehr aus dem Kopf.
    »Mrs. Fuller. Melanie Fuller. Bitte heben Sie das nächste weiße Telefon ab.«
    Mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich konnte Schmerzen in der Brust spüren, als sich die Muskeln zusammenzogen. Das ist ein Irrtum. Ein weitverbreiteter Name. Ich habe bestimmt falsch verstanden, was durchgesagt wurde ...
    »Mrs. Straughn. Beatrice Straughn. Bitte nehmen Sie das nächste weiße Telefon ab. Mr. Bergstrom. Harold Bergstrom ...«
    Einen Augenblick war ich sicher - ekelerregend sicher -, daß ich hier in der Wartehalle für Überseeflüge der Trans World Airlines ohnmächtig werden würde. Ich senkte den Kopf, als der rot-blaue Raum vor meinen Augen verschwamm und Myriaden winziger Pünktchen an der Peripherie meines Sehbereichs tanzten. Dann stand ich auf, drückte Handgepäck und Handtasche an mich und setzte mich in Bewegung. Ein Mann mit blauem Blazer und Plastiknamensschild ging an mir vorbei, und ich packte ihn am Arm. »Wo ist es?«
    Er sah mich an.
    »Das weiße Telefon«, zischte ich. »Wo ist es?«
    Er deutete auf die Wand in der Nähe. Ich näherte mich dem Telefon, als wäre es eine Natter. Einen Augenblick - eine Ewigkeit - konnte ich nicht danach greifen. Dann stellte ich den Handkoffer ab, hob den Hörer und flüsterte meinen neuen Namen hinein. Eine fremde Stimme sagte: »Mrs. Straughn? Einen Augenblick bitte. Ich habe einen Anruf für Sie.«
    Ich stand reglos da, während hohles Klicken bestätigte, daß eine Verbindung hergestellt wurde. Eine Stimme meldete sich, die ebenfalls hohl klang, als käme sie aus einem Tunnel oder einem unmöblierten Zimmer. Oder einem Grab. Ich

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