Kraft des Bösen
kannte die Stimme sehr gut.
»Melanie? Melanie, Darling, hier spricht Nina - Melanie? Darling, hier ist Nina ...«
Ich ließ den Hörer fallen und wich zurück. Lärm und Geschäftigkeit ringsum wichen zurück, bis sie nur ein fernes, zusammenhangloses Summen waren. Ich schien durch einen langen Tunnel auf die winzigen Gestalten zu sehen, die hin und her wuselten. Ich warf mich in einem Anflug von Panik herum, vergaß das Handgepäck, vergaß das Geld darin, vergaß meinen Flug, vergaß alles, außer der toten Stimme, die in meinen Ohren hallte wie ein Schrei in der Nacht.
Als ich mich der Tür der Schalterhalle näherte, kam ein Bediensteter mit roter Mütze auf mich zugeeilt. Ich dachte nicht nach. Ich sah den eilfertigen Neger an, worauf der Mann zusammenbrach. Ich glaube nicht, daß ich schon einmal jemanden so schnell und brutal >benützt< hatte. Der Mann wand sich im Griff eines heftigen Anfalls und schlug mit dem Gesicht mehrmals auf den Fliesenboden. Ich schlüpfte zur automatischen Tür hinaus, während Passanten zu dem zuckenden Bediensteten liefen.
Ich stand am Bordstein und versuchte vergebens, den Wirbelwind von Panik und Verwirrung niederzukämpfen, der mich erfüllte. Jedes Gesicht, das auf mich zukam, drohte sich in die blasse und lächelnde Totenmaske aufzulösen, die ich halb erwartete. Ich wirbelte herum und drückte Handtasche und Einkaufstasche an die Brust, eine bemitleidenswerte alte Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs. Melanie? Darling, hier ist Nina ...
»Taxi, Lady?«
Ich wirbelte herum und suchte nach dem Ursprung der Frage. Ein grün-weißes Taxi hatte vor mir gehalten, ohne daß ich es bemerkt hätte. Dahinter warteten weitere in einer speziellen Fahrspur für Taxis. Der Fahrer war weiß, über dreißig, glattrasiert, aber mit dem Typ durchscheinender Haut, die bereits den dunklen Schatten des morgigen Bartes erkennen ließ.
»Möchten Sie ein Taxi?«
Ich nickte und mühte mich mit der Tür ab. Der Fahrer lehnte sich zurück und machte sie für mich auf. Im Innern roch es nach abgestandenem Zigarettenrauch, Schweiß, Vinyl und Urin. Ich drehte mich herum und sah zur Heckscheibe hinaus, als wir den halbkreisförmigen Zufahrtsweg hinabfuhren. Grüne Rechtecke aus Licht wanderten über Fenster und hintere Ablage des Taxis. Ich konnte nicht feststellen, ob uns andere Automobile folgten. Die Verkehrsdichte war irrsinnig.
»Ich sagte wohin?« schrie der Fahrer.
Ich blinzelte. Mein Denken war vollkommen leer.
»Innenstadt?« sagte er. »Hotel?«
»Ja.« Es war, als spräche ich nicht seine Sprache.
»Welches?«
Große Schmerzen erblühten hinter meinem linken Auge. Ich spürte, wie sie von meinem Schädel in den Hals hinabflossen und den ganzen Körper erfüllten wie flüssiges Feuer. Einen Augenblick konnte ich nicht atmen. Ich saß da, hielt Handtasche und Einkaufstasche umklammert und wartete darauf, daß die Schmerzen nachließen.
». oder was?« fragte der Fahrer.
»Pardon?« Meine Stimme klang wie das Rascheln abgestorbener Maishalme in trockenem Wind.
»Soll ich auf die Schnellstraße fahren, oder was?«
»Sheraton.« Das Wort kam mir wie eine sinnlose Aneinanderreihung von Silben vor. Die Schmerzen klangen ab und hinterließen einen Nachhall von Übelkeit.
»Innenstadt oder Flughafen?«
»Innenstadt«, sagte ich, hatte aber keine Ahnung, worüber wir uns unterhielten.
»Alles klar.«
Ich lehnte mich auf das kalte Vinyl zurück. Lichtstreifen glitten hypnotisch regelmäßig durch das schmutzige Innere des Taxis, und ich konzentrierte mich darauf, meinen Atem zu verlangsamen. Das Geräusch der Reifen auf dem nassen Kopfsteinpflaster drang allmählich durch das Summen in meinen Ohren. Melanie, Darling ...
»Ihr Name?« flüsterte ich.
»Hm?«
»Ihr Name«, herrschte ich ihn an.
»Steve Lenton. Steht auf der Karte hier. Warum?«
»Wo wohnen Sie?«
»Warum?«
Ich hatte genug von ihm. Ich stieß zu. Trotz Kopfschmerzen, trotz Übelkeit stieß ich zu. Die Wucht war so groß, daß er einige Sekunden über dem Lenkrad zusammenklappte, dann ließ ich zu, daß er sich wieder aufrichtete und sich auf die Straße konzentrierte.
»Wo wohnen Sie?«
Bilder, Eindrücke, eine Frau mit strähnigen blonden Haaren vor einer Garage.
Aussprechen.
»Beulah Heights.« Die Stimme des Fahrers klang tonlos.
»Ist das weit von hier?«
»Fünfzehn Minuten.«
»Leben Sie allein?«
Traurigkeit. Verlust. Eifersucht. Ein schmerzbefrachtetes Bild der Blonden mit einem rotznäsigen
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