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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Pochen. Mehr als eine halbe Stunde war vergangen. Wurde Zeit, daß ich verschwand.
    Ich vergewisserte mich, daß niemand in der Nähe war, und zog die Eingangstür hinter mir zu. Das Klicken des Schlosses hatte etwas Endgültiges an sich. Durch das breite Garagentor konnte ich den Motor des Taxis kaum hören, als ich mich hinter das Steuer des Buick setzte. Einige panische Sekunden lang konnte ich keinen der Schlüssel in das Zündschloß stecken, aber dann versuchte ich es noch einmal, ließ mir Zeit, und der Motor sprang augenblicklich an. Ich brauchte noch eine Minute, bis ich den Sitz eingestellt, den Rückspiegel justiert und den Lichtschalter gefunden hatte. Ich war seit vielen Jahren nicht mehr Auto gefahren - selbst gefahren. Ich stieß rückwärts aus der Einfahrt und fuhr langsam die gewundenen Straßen des Wohngebiets entlang. Und überlegte mir, daß ich kein Ziel und keine alternativen Pläne hatte. Ich hatte mich allein auf die Villa bei Toulon und die Identität konzentriert, die mich dort erwartete. Beatrice Straughn war eine vorübergehende Persönlichkeit gewesen, ein Name für die Reise. Da fiel mir mit jähem Schrecken ein, daß die zwölftausend Dollar in bar sich in der Tragetasche befanden, die ich beim Telefon im Flughafen hatte stehen lassen. Ich hatte immer noch für neuntausend Dollar Travellerschecks in der Handtasche, ebenso meinen Paß und andere Kennkarten, aber der blaue Hosenanzug, den ich trug, war die einzige Bekleidung, die ich derzeit besaß. Mein Hals schnürte sich zusammen, als ich an die hübschen Sachen dachte, die ich heute morgen gekauft hatte. Ich spürte das Brennen von Tränen, schüttelte aber den Kopf und fuhr weiter, als die Ampel umschaltete und ein Kretin hinter mir ungeduldig hupte.
    Irgendwie gelang es mir, den Zubringer zur Interstate zu finden und nach Norden zu fahren. Ich zögerte, als ich das grüne Schild der Flughafenausfahrt sah. Meine Reisetasche stand vielleicht immer noch neben dem Telefon. Es wäre einfach, auf einen anderen Flug umzubuchen. Ich fuhr weiter. Nichts in der Welt hätte mich veranlassen können, einen Fuß in das hell erleuchtete Mausoleum zu setzen, wo Ninas Stimme auf mich wartete. Ich erschauerte wieder, als ungewollt das Bild der TWA-Abflughalle vor mir aufstieg, wo ich vor zwei Stunden, vor einer Ewigkeit, gesessen hatte. Nina war dort, sie saß tadellos, noch immer in dem rosa Kleid da, in dem ich sie zuletzt gesehen hatte, ihre Hände waren auf der Handtasche auf dem Schoß gefaltet, die Augen blau, die Stirn von dem zehncentgroßen Loch und einem schwellenden Bluterguß verunstaltet, ihr Lächeln breit und weiß. Die Zähne waren spitz zugefeilt. Sie hatte vor, an Bord des Flugzeugs zu gehen. Dort würde sie auf mich warten.
    Ich sah häufig in den Rückspiegel, wechselte die Fahrspuren, änderte die Geschwindigkeit und fuhr zweimal ab, nur um auf der gegenüberliegenden Zufahrt wieder auf die Schnellstraße zurückzukehren. Es war unmöglich zu sagen, ob mir jemand folgte, aber ich glaubte nicht. Scheinwerfer taten mir in den Augen weh. Meine Hände fingen wieder an zu zittern. Ich machte das Fenster einen Spalt auf, so daß die kalte Nachtluft mir auf den Wangen weh tat. Ich wünschte, ich hätte die Flasche Whiskey mitgenommen.
    Auf dem Schild stand I-85 NORD, CHARLOTTE, N.C. Nord. Ich haßte den Norden, die brüske Art der Yankees, die grauen Städte, die kalten, sonnenlosen Tage. Wer mich kannte, wußte auch, daß ich die Nordstaaten verabscheute, besonders im Winter, und daß ich sie, wenn irgend möglich, meiden würde.
    Ich folgte dem Verkehrsstrom zur Ausfahrt des Kleeblatts. Reflektierende Buchstaben auf einem Schild über der Straße verkündeten: CHARLOTTE, N.C. 240 Mi., DURHAM, N.C. 337 Mi., RICHMOND, VA 540 Mi., WASHINGTON, D.C. 650 Mi.
    Ich umklammerte das Lenkrad mit aller Kraft, versuchte, mit der irrsinnigen Geschwindigkeit des Verkehrs Schritt zu halten, und fuhr weiter nach Norden, in die Nacht.
    »He, Lady!«
    Ich erwachte ruckartig und betrachtete die Erscheinung Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. Heller Sonnenschein beleuchtete langes, strähniges Haar, das zur Hälfte ein Nagetiergesicht verbarg; winzige, rastlose Äuglein, lange Nase, schmutzige Haut, dünne, rissige Lippen. Die Erscheinung zwang sich zu einem Lächeln, bei dem ich kurz scharfe, gelbe Zähne aufblitzen sehen konnte. Der vordere Schneidezahn war abgebrochen. Der Junge konnte nicht älter als siebzehn sein. »He, Lady, fahr’n Sie in

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