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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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zurückblieben, die sich in den gräßlichen Säften des Verdauungsprozesses mit rohem Abfall vermischten.
    Anne war so stolz auf ihr kleines Haus, daß sie unablässig errötete, als sie es uns zeigte. Es war ein Anachronismus: ein hübsches weißes Holzhaus - früher vielleicht einmal ein Farmhaus -, das einige Dutzend Meter abseits der Germantown Avenue in einer ruhigen Seitenstraße namens Queen Lane lag. Es war von einem hohen Holzzaun umgeben, der an der Vorderseite arg verfallen und trotz offensichtlicher Bemühungen, ihn sauberzuhalten, mit Graffiti übersät war, besaß einen briefmarkengroßen Garten, der kleiner als der Innenhof meines Hauses in Charleston war, eine winzige vordere Veranda, zwei Dachgaubenfenster, die von einem Obergeschoß kündeten, und einen einzigen verkrüppelten Pfirsichbaum, der aussah, als würde er nie wieder blühen. Das Haus selbst lag eingepfercht zwischen einer chemischen Reinigung, die im Schaufenster Werbung für tote Fliegen zu machen schien, und einem zweistöckigen Mietshaus, das aussah, als stünde es seit Jahrzehnten leer, wären da nicht schwarze Gesichter gewesen, die aus den Fenstern sahen. Auf der anderen Straßenseite befanden sich eine Zusammenballung kleinerer Lagerhallen, windschiefe Backsteingebäude, die in Zweierwohnungen unterteilt worden waren, und der Anfang allgegenwärtiger Reihenhäuser einen halben Block entfernt im Süden.
    »Nichts Besonderes, aber ein Zuhause«, sagte Anne, die darauf wartete, daß ich dem ersten Teil ihrer Bemerkung widersprach. Ich widersprach ihr.
    Annes großes Schlafzimmer und das kleinere Gästezimmer befanden sich im ersten Stock. Ein winziges Zimmer neben der Küche hatte ihrem Bruder gehört, in dem Raum roch es noch nach Medizin und Zigarren. Anne hatte offenbar vorgehabt, das untere Zimmer Vincent und das obere Gästezimmer mir anzubieten. Ich half ein bißchen nach, daß sie uns die beiden Zimmer oben gab und selbst das unten nahm. Während sie ihre Kleidung und persönlichen Sachen nach unten schaffte, sah ich mir den Rest des Hauses an.
    Es gab ein kleines Eßzimmer, für seine Größe zu streng eingerichtet, ein winziges Wohnzimmer mit zuviel Möbeln und zu vielen Bildern an den Wänden, eine Küche, die so kalt und abstoßend aussah wie Anne selbst, das Zimmer des Bruders, ein Bad und eine kleine rückwärtige Veranda mit Blick auf einen Garten, der kaum größer als ein Hundezwinger war.
    Ich machte die Hintertür auf, damit etwas frische Luft in das stickige Haus wehen konnte, da strich eine fette, graue Katze an meinen Beinen vorbei. »Oh, das ist Fluff«, sagte Anne, die einen Armvoll Kleidung in das kleine Zimmer trug. »Das ist mein Pflegekind. Mrs. Pagnelli hat sich um ihn gekümmert, aber er wußte, daß Mommy nach Hause kommt, oder nicht?« Sie sprach mit der Katze.
    Ich lächelte und wich zurück. Frauen meines Alters lieben angeblich Katzen, sollen sie bei jeder Gelegenheit ins Haus holen und sich ganz allgemein in Gegenwart der arroganten, verräterischen Kreaturen wie Idioten benehmen. Als ich ein Kind war - nicht älter als sechs oder sieben -, brachte meine Tante jeden Sommer, wenn sie zu Besuch kam, ihren fetten Siamkater mit. Ich hatte immer Angst, das Vieh würde sich mir nachts aufs Gesicht legen und mich ersticken. Ich kann mich noch erinnern, wie ich die Katze eines Nachmittags, als die Erwachsenen Limonade tranken, in einen Jutesack gesteckt habe. Ich ertränkte sie im Wassertrog neben dem Fahrzeugschuppen unserer Nachbarn und ließ den nassen Leichnam hinter einer Scheune liegen, wo sich häufig ein Rudel gelber Hunde versammelte. Wenn Annes Konditionierung abgeschlossen war, sollte es mich nicht wundern, wenn ihr >Pflegekind< einem ähnlichen Schicksal erlag.
    Wenn man über die >Gabe< verfügt, ist es vergleichsweise einfach, jemanden zu >benützen<, aber ungleich schwieriger, ihn erfolgreich zu konditionieren. Als Nina, Willi und ich das >Spiel< vor fast einem halben Jahrhundert in Wien anfingen, amüsierten wir uns damit, daß wir andere >benützten<, für gewöhnlich Fremde, und dachten kaum an die Notwendigkeit, daß man diese menschlichen Instrumente später immer beseitigen mußte. Später, als wir älter und in unserem Gebrauch der >Gabe< reifer wurden, sahen wir alle die Notwendigkeit eines Begleiters ein - halb Diener, halb Leibwächter -, der so auf unsere Bedürfnisse geeicht sein würde, daß es fast keiner Anstrengung bedurfte, ihn zu >benützen<. Bevor ich vor fünfundzwanzig

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