Kraft des Bösen
das ganze Geschick des Anglers vonnöten.
»Aber ja, so ist es«, sagte ich. Der Gedanke, wirklich irgendwo ein plärrendes Balg zu haben, ekelte mich, aber ich hatte schon vor langer Zeit die beruhigende Wirkung des Strickens und die psychologische Tarnung, die es in der Öffentlichkeit bot, entdeckt.
»Ein Enkelsohn?«
»Enkeltochter«, sagte ich und glitt in das Denken der Frau. Es war, als würde man durch eine offene Tür treten. Keinerlei Widerstand. Ich war so vorsichtig und behutsam wie möglich, glitt durch geistige Korridore und Durchgänge und durch weitere offene Türen, niemals aufdringlich, bis ich das Lustzentrum ihres Gehirns fand. Mit dem Bild vor Augen, ich würde eine Perserkatze streicheln, obwohl ich Katzen verabscheue, streichelte ich sie und spürte, wie ein Anflug von Wärme durch sie und aus ihr heraus floß wie ein unerwarteter Strahl warmen Urins.
»Oh«, sagte sie und errötete, und dann errötete sie noch mehr, weil sie nicht wußte, warum sie errötete. »Eine Enkeltochter, wie schön.«
Ich dämpfte das Streicheln, modulierte es, koordinierte es mit jedem schüchternen Blick, den sie mir zuwarf, und steigerte es, wenn sie meine Stimme hörte. Manche Menschen berühren uns ganz natürlich mit dieser Kraft, wenn wir ihnen begegnen. Bei jungen Leuten nennt man es >sich verliebenc. Bei Politikern nennt man es >Charisma erzeugenc. Wenn es von einem meisterlichen Redner gehandhabt wird, der über einen Hauch der >Gabe< verfügt, nennen wir die Folgen gern Massenhysterie. Eine häufig erwähnte, aber selten zur Kenntnis genommene Tatsache, die von Zeitgenossen und Vertrauten Adolf Hitlers überliefert wurde, ist die, daß die Leute sich in seiner Gegenwart wohl fühlten. Ein paar Wochen der Konditionierungsstufe, die ich gerade bei dieser Frau begonnen hatte, würde eine mächtigere Sucht als Heroin erzeugen. Es gefällt uns, verliebt zu sein, weil die Menschen dabei der Empfindung dieser psychischen Sucht am nächsten kommen.
Nach einem oder zwei Augenblicken beiläufiger Konversation schlug diese einsame Frau, die in dem Maß älter aussah wie ich jünger, auf den Sitz neben ihr und sagte wieder errötend: »Hier ist noch genügend Platz. Möchten Sie mir nicht Gesellschaft leisten, damit wir unsere Unterhaltung fortsetzen können, ohne dabei so schreien zu müssen?«
»Liebend gerne«, sagte ich und stopfte die Wolle und die unnützen Nadeln in die Handtasche, Das Stricken hatte seinen Zweck erfüllt.
Ihr Name war Anne Bishop, und sie kehrte nach einem langen und unbefriedigenden Besuch der Familie ihrer jüngeren Schwester in Washington in ihre Heimat Philadelphia zurück. Zehn Minuten Unterhaltung verrieten mir alles, was ich wissen mußte. Das geistige Streicheln wäre gar nicht erforderlich gewesen; diese Frau brannte darauf, mit jemandem zu reden.
Anne stammte aus einer geachteten und wohlhabenden Familie in Philadelphia. Ein von ihrem Vater eingerichteter Treuhandfonds bildete ihre Haupteinnahmequelle. Sie hatte nie geheiratet. Zweiunddreißig Jahre lang hatte sich dieser verblichene Schemen einer Frau um ihren Bruder Paul gekümmert, einen halbseitig Gelähmten, der sich wegen einer fortschreitenden Nervenkrankheit langsam in einen ganzseitig Gelähmten verwandelte. Vergangenen Mai war Paul gestorben, und Anne Bishop hatte sich noch nicht an eine Welt gewöhnen können, in der sie nicht für ihn verantwortlich war. Ihr Besuch bei ihrer Schwester Elaine - der erste seit acht Jahren - war eine traurige Angelegenheit gewesen; Anne hatte keine Geduld mit Elaines rüpelhaftem Mann und ihren ungezogenen Kindern gehabt - die Familie hatte sich offenbar nicht an die altjüngferlichen Gewohnheiten von Tante Anne gewöhnen können.
Ich kannte Anne Bishops Typ nur zu gut - im Verlauf meines langen winterschlafartigen Rückzugs vom Leben hatte ich mich sogar einmal als dieser Typ geschlagene Frau maskiert. Sie war ein Satellit auf der Suche nach einer Welt, um die sie kreisen konnte. Jede Welt war gut, solange sie nicht die kalte, einsame Finsternis der Selbständigkeit erforderte. Halbseitig gelähmte Brüder waren für solche Frauen ein Geschenk Gottes; endlose, einseitige Aufopferung für einen Ehemann oder Kinder wäre eine Alternative gewesen, aber sich um einen kranken Bruder zu kümmern bot weitaus mehr Ausreden dafür, sich anderen Verpflichtungen und Verwirrungen und langweiligen Pflichten des Lebens zu entziehen. Mit ihrer unerbittlichen Hingabe und Selbstlosigkeit waren
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