Kraft des Bösen
diese Frauen unweigerlich egoistische Ungeheuer. In ihren bescheidenen, selbsterniedrigenden und liebevollen Bemerkungen über ihren lieben verstorbenen Bruder spürte ich die perversen Fetische von Bettpfanne und Rollstuhl, die ekelhafte Selbstgefälligkeit, sich selbst dreißig Jahre lang alles zu versagen, das Leben als junge Frau, als Erwachsene, die Elternschaft zu opfern, um den riechenden Bedürfnissen eines scheintoten Pflegefalls zu genügen. Ich kannte Anne Bishop gut: sie beging eine Art langsamen, masturbationsähnlichen Selbstmord. Bei dem Gedanken schäme ich mich, demselben Geschlecht anzugehören. Wenn ich ab und zu solchen armen Würmern begegne, fühle ich mich versucht, ihnen zu helfen, sich die Hände und Arme in die Hälse zu stecken, bis sie an ihrem eigenen Erbrochenen ersticken und es überstanden haben.
»Ja, ja, ich verstehe«, sagte ich und tätschelte ihren Arm, während sie bei der Schilderung ihrer schweren Prüfungen Tränen vergoß. »Ich weiß genau, wie das ist.«
»Ja, Sie verstehen es«, sagte Anne. »Man trifft so selten jemanden, der den Kummer eines anderen verstehen kann. Ich spüre, daß wir vieles gemeinsam haben.«
Ich nickte und sah Anne Bishop an. Sie war zweiundfünfzig Jahre alt, hätte aber gut und gerne für siebzig gelten können. Sie kleidete sich gut, gehörte aber zu den gebückten Mauerblümchen, an denen jedes Kleid und jeder Hosenanzug wie ein ausgeleierter Morgenmantel oder Pullover wirkte. Ihr Haar war hellbraun, mit einem Scheitel, den sie seit fünfundvierzig Jahren an derselben Stelle pflügte, und die Locken hingen niedergeschlagen herab. Ihre Augen waren umrandet und dunkel und zum Weinen wie geschaffen. Der Mund schmal und verkniffen, nicht so gespannt, daß man ihn verbittert nennen konnte, aber offensichtlich nicht daran gewöhnt, zu lachen. Ihre Runzeln flossen alle abwärts; der Fluch der Schwerkraft war tief eingeätzt. Ihr Verstand war so nervös, hungrig und seicht wie ein ängstliches Eichhörnchen.
Sie war perfekt.
Ich erzählte ihr meine Geschichte und benützte den Namen Beatrice Straughn, da ich deren Ausweispapiere noch bei mir hatte. Mein Mann war erfolgreicher Banker in Savannah gewesen. Nach seinem Dahinscheiden vor acht Jahren hatte er ein Erbe hinterlassen, das vom Sohn meiner Schwester - Todd - veruntreut wurde, dem es offenbar gelungen war, mein ganzes Geld und seines zu verlieren, bevor er und sein Trampel von einer Frau vergangenen Herbst bei einem dramatischen Autounfall ums Leben kamen und mir die Beerdigungskosten, hohe Schulden und ihren Sohn Vincent hinterließen, um den ich mich kümmern mußte. Mein eigener Sohn und dessen schwangere Frau waren in Okinawa und unterrichteten an einer Missionsschule. Inzwischen hatte ich das Haus in Savannah verkauft, den letzten Rest von Todds Schulden bezahlt und war auf dem Weg nach Norden, um mit meinem Großneffen ein neues Leben anzufangen.
Die Geschichte war der blanke Unsinn, aber ich half Anne Bishop, sie zu glauben, indem ich jede neue Offenbarung mit subtilem Streicheln des Lustzentrums unterstrich.
»Ihr Neffe ist sehr hübsch«, sagte Anne.
Ich lächelte und sah über den Mittelgang zu Vincent. Dieser trug ein billiges weißes Hemd, dunkle Krawatte, blaue Windjacke, Bundfaltenhosen und schwarze Schuhe, die wir in einem K-Markt in Washington gekauft hatten. Ich hatte ihm das Haar ein wenig geschnitten, dann aber aus einer Laune heraus beschlossen, es lang zu lassen; jetzt war es frisch gewaschen und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er betrachtete das Schneetreiben und die vorüberhuschende Landschaft gleichgültig. An seinem kinnlosen Frettchengesicht und den Aknepusteln hatte ich nichts ändern können. »Danke«, sagte ich. »Er kommt nach seiner Mutter - Gott sei ihrer Seele gnädig.«
»Er ist sehr still«, sagte Anne.
Ich nickte und ließ Tränen in meine Augen treten. »Der Unfall . «begann ich und machte eine Pause, ehe ich weitersprechen konnte. »Der arme Junge hat den größten Teil seiner Zunge bei dem Autounfall verloren. Sie haben mir gesagt, daß er nie wieder wird sprechen können.«
»Liebe Güte, liebe Güte«, gluckte Anne. »Gottes Wege sind unerfindlich, an uns ist es nur, ihnen zu folgen.«
Anne Bishop war hocherfreut, daß wir ihre Einladung anna timen, ein paar Tage bei ihr zu verbringen.
Die Innenstadt von Philadelphia war überfüllt, laut und schmutzig. Vincent trug unsere Taschen, als wir zu einer unterirdischen Bahnstation gingen, wo Anne
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