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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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schwankte, kam zum Stillstand und war genau auf Natalie Prestons Gesicht gerichtet.
    »Jaaa, jetzt«, flüsterte Melanie Fuller.
    Gentrys Körper zuckte, seine Augen quollen aus den Höhlen, das Gesicht wurde immer röter. Sein Arm bebte unkontrolliert, als würde jeder Nerv seines Körpers gegen die Befehle des Gehirns kämpfen. Er klammerte die Hand um die Pistole, krümmte den Finger am Abzug.
    »Jaaa«, knurrte Melanie Fuller. Ihre Stimme hörte sich ungeduldig an.
    Schweiß brach auf Gentrys Gesicht aus und durchnäßte das Hemd unter der offenen Jacke. Sehnen standen an seinem Hals vor, Adern wölbten sich an den Schläfen. Sein ganzes Gesicht war zu einer Maske von Schmerz und Anstrengung verzerrt, wie man sie nur bei Menschen wahrnimmt, die eine übermenschliche Anstrengung aufbieten, eine unmögliche Aufgabe für Muskeln, Verstand und Willenskraft. Sein Finger krümmte sich um den Abzug, entspannte sich, krümmte sich, bis sich der Hahn des Revolvers hob, einrastete.
    Natalie konnte sich nicht bewegen. Sie betrachtete die Maske der Qual und sah Rob Gentrys blaue Augen, sonst nichts.
    »Dasssss dauert ssu lang«, zischelte Melanie Fuller. Sie strich sich über die Stirn, als wäre sie müde.
    Gentry flog rückwärts, als hätte er ein Tauziehen mit Titanen versucht und seine Gegner hatten ihr Ende des Seils plötzlich losgelassen. Er stolperte rückwärts durch den Flur, rutschte an der Wand hinunter und ließ den Revolver fallen, während er nach Atem rang. Natalie sah den Stolz in Gentrys Blick in dem Sekundenbruchteil, als sie sich direkt in die Augen sahen.
    Vincent sprang aus dem Salon und schwang das Messer zweimal in Hüfthöhe in einem Bogen. Gentry keuchte und hob beide Hände zum Hals, als könnte er die klaffende Wunde mit Druck schließen. Das schien drei Sekunden lang zu funktionieren, dann quoll Blut zwischen seinen Fingern hervor und floß in unvorstellbaren Mengen über seine Hände, Brust und den Oberkörper. Gentry rutschte seitlich an der Wand hinunter, bis sein Kopf und die linke Schulter sanft den Boden berührten. Er sah Natalie die ganze Zeit unverwandt an, bis ihm die Augen langsam zufielen, ein kleiner Junge, der die Augen schläfrig für ein Mittagsnickerchen schließt. Gentrys Körper bäumte sich noch einmal auf und entspannte sich im Tod.
    »Nein!« schrie Natalie und sprang im selben Augenblick. Sie war acht Stufen heraufgekommen, die schnellte sie nun Kopf voran hinunter und stieß mit dem linken Arm so fest gegen die unterste Stufe, daß sie etwas in der Schulter brechen spürte. Sie achtete nicht darauf, achtete nicht auf die Schmerzen, achtete nicht auf das Gefühl, als würden Finger über ihren Verstand flattern wie Falter an eine Fensterscheibe, und achtete auch nicht auf den zweiten Stoß, als sie über den harten Holzboden und Robs Beine rollte und von hinten gegen Vincents Beine stieß.
    Natalie dachte nicht nach. Sie ließ ihren Körper tun, was er tun mußte, was sie ihm schon vor Äonen, vor ihrem Sprung, befohlen hatte.
    Vincent schwankte über ihr und ruderte mit den Armen, damit er in der Nachwirkung des Zusammenstoßes das Gleichgewicht nicht verlor. Er mußte den Oberkörper drehen, damit er mit dem Messer nach ihr stoßen konnte.
    Natalie ließ sich keine Zeit zum Nachdenken, rollte sich auf den Rücken, ließ die rechte Hand fallen und tastete nach dem Revolver, der hier irgendwo liegen mußte, hob ihn auf und legte an. Sie schoß Vincent in den offenen Mund.
    Der Rückstoß schlug ihr den Arm auf den Boden zurück und riß Vincent vollkommen in die Luft. Er prallte einen halben Meter hoch an die Wand und hinterließ beim Herunterrutschen einen roten Streifen.
    Melanie Fuller schlurfte die Treppe herunter und erzeugte dabei mit den Hausschuhen leise Kratzgeräusche auf dem Holz.
    Natalie versuchte, sich mit dem linken Arm hochzuziehen, fiel aber zur Seite auf Robs Beine. Sie senkte die Waffe und richtete sich in eine sitzende Haltung auf. Sie mußte sich Tränen aus den Augen streichen, damit sie die Pistole auf Melanie Fuller richten konnte.
    Die alte Frau war fünf Schritte entfernt, zwei Stufen über ihr. Natalie rechnete damit, daß Finger nach ihrem Verstand greifen und ihr Einhalt gebieten würden, aber es kam nichts. Sie drückte einmal, zweimal, dreimal ab.
    »Man muß immer die Patronen zählen, Teuerste«, flüsterte die alte Frau. Sie kam die Treppe herunter, stieg über Natalies Beine und schlurfte zur Tür. Einmal blieb sie stehen und drehte sich

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