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Kraft des Bösen

Kraft des Bösen

Titel: Kraft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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ziellos herum wie die Opfer nach einem Autounfall, aber ein paar hatten Pistolen gezückt. Saul wußte, es wäre verrückt zu bleiben, wo er war. Taylor und die anderen waren nicht mehr zu sehen, und Saul vermutete, daß sie zum Lastwagen zurückgekehrt waren. »Ich suche jemanden«, sagte Saul.
    Saul wartete, bis die letzten Agenten aus dem Wohnwagen gekrochen waren wie Ameisen aus einem eingestürzten Ameisenhaufen. Weder von Charles Colben noch von Richard Haines war eine Spur zu sehen. Saul schmeckte die Enttäuschung wie Galle im Mund.
    »Wir sollten besser abhauen«, flüsterte Jackson. »Sie kriegen es langsam wieder auf die Reihe.«
    Saul nickte und folgte dem größeren Mann in die Schatten.
    Leroy sah den Leichnam von G. B. auf dem Gehweg liegen und sah gerade noch Mündungsfeuer vom zweiten Stock auf der anderen Straßenseite, bevor er sich fallen lassen und nach rechts Richtung Tor abrollen mußte. Kugeln schlugen links von ihm durch den Zaun. Es hörte sich an, als würden einige Brüder das Feuer von der Westseite des Hauses und aus der Gasse erwidern, aber er wußte, daß sie mit ihren zusammengewürfelten Handfeuerwaffen und wenigen Schrotflinten nicht gegen die Gewehre ankommen konnten, die die Bundesbullen benützten. Leroy preßte das Gesicht auf den kalten Boden, als weitere Schüsse durch den Zaun schlugen. »Geile Sache, Mann«, flüsterte er.
    Neben der Steinmauer, zwanzig Zentimeter von Leroys rechtem Arm entfernt, lag ein Toter. Er drehte den Leichnam herum und hörte Flaschen in dem billigen Rucksack aus dem Thrift-Store-Geschäft klirren. Es roch durchdringend nach Benzin.
    Der Tote war Deeter Coleman, Anfangssemester an der Germantown High und ein neues Mitglied von >Soul Brickyard<. Deeter war ein paarmal mit Leroys Schwester ausgegangen. Leroy wußte, der Junge hatte sich mehr für die Schauspielarbeitsgemeinschaft und den Computerunterricht als für die Straße interessiert, aber er hatte Marvin jahrelang um eine Chance angefleht, der Bande beitreten zu können. Der Bandenführer hatte ihm diese Chance erst vor einer Woche gegeben. Die Kugel hatte dem Jungen fast den ganzen Hals zerfetzt.
    Leroy zog den Leichnam wieder zurück und zupfte an den Schultergurten des Rucksacks, während er die ganze Zeit vor sich hin murmelte. »Du bist ganz einfach dumm, Leroy-Babe. Dumm wie Bohnenstroh, Mann. Immer mußt du die dummen Sachen machen.«
    Er zurrte die Riemen fest, spürte bereits, wie ihm das Benzin aus der zerschellten Flasche den Rücken tränkte, und schüttelte den Kopf. Er steckte die nutzlose kleine Kaliber-25-Pistole in den Gürtel, riß, ohne nachzudenken, das Tor auf und rannte, was er konnte.
    Zwei Schüsse ertönten, und etwas schlug gegen den Absatz seiner Turnschuhe, aber Leroy hielt nicht inne. Er stürzte durch eine Reihe Mülltonnen am Eingang der Gasse und sprang dann zur Feuerleiter. »Verdammt dumm, so was auch nur zu versuchen«, murmelte er, während er die Feuerleiter hinaufkletterte.
    Es gab keine Fenster im zweiten Stock der zur Gasse gerichteten Seite des Gebäudes, nur eine abgeschlossene Metalltür ohne Griff außen. »Dumm, dumm«, flüsterte Leroy und duckte sich rechts von der Tür. Er klopfte Hosenund Manteltaschen ab. Er hatte keine Streichhölzer, kein Feuerzeug, gar nichts. Als er drei Schatten von der Rückseite des Gebäudes auf die Gasse laufen sah, lachte er lauthals auf. Von seinem Aussichtspunkt neun Meter über ihnen konnte Leroy ihre weißen Gesichter und Hände sehen, als sie mit gezückten Waffen zu ihm aufsahen.
    Er preßte das Gesicht fest gegen die Backsteinmauer, als die erste Kugel funkenschlagend durch das Geländer heulte. Die zweite ging durch die Sohle seines rechten Turnschuhs und riß ihm das Bein dreißig Zentimeter in die Luft. Leroy spürte das plötzliche Gefühl der Taubheit und betrachtete das schwarze Loch in seinem weißen Turnschuh. »Wollt ihr mich verscheißern?« flüsterte er.
    Die Stahltür ging auf, und ein Mann im dunklen Anzug kam auf die Feuerleiter heraus. Er trug ein unheimlich aussehendes Gewehr. Leroy entriß ihm das Gewehr, schlug ihm mit dem Kolben an den Hals, drückte ihn nach hinten gebeugt über das Geländer und hielt die Tür mit seinem tauben rechten Fuß auf. Von unten pfiffen keine Schüsse mehr herauf, aber Leroy konnte die weißen Gesichter erkennen, die eine bessere Schußposition suchten. Der Mann wand sich und würgte unter ihm, krallte mit einer Hand nach Leroys Gesicht und zog mit der anderen an

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