Kraft des Bösen
befallen wurden. Wenn man auf der Landstraße außer Sichtweite der Interstate war, präsentierten sich einem nach einer Fahrt von vierzig Meilen Panoramen endloser Grasländer, vom Wind umgewehter Schneezäune, die in der Weite der Prärie zwergenhaft und vergessen wirkten, gelegentlicher Ranchen, die meilenweit von der Straße entfernt lagen, hoher Berge im Norden und Osten, die wie gewaltige Felsklüfte emporstiegen, vereinzelter Bäche, die von Baumwolle und Gestrüpp zugewuchert wurden, zaghafter Antilopenrudel und kleiner Viehherden, die in den Millionen Hektar Weideland verloren wirkten.
Und die Raketensilos.
Die Silos wirkten so unscheinbar, wie jedes Menschenwerk vor dieser monumentalen Landschaft wirken mußte; kleine, quadratische Schotterflächen mit Sturmzäunen, normalerweise fünfzig bis hundert Meter von der Landstraße entfernt. Die einzigen sichtbaren Anzeichen dafür, daß es sich bei den umzäunten Quadraten um etwas anderes handelt als Erdgaspumpanlagen oder verlassene Parkplätze, waren die Wetterfahnen aus Metall, die vier Rohre mit Reflektorspiegeln und die flachen, massiven Betondächer auf rostenden Schienen. Die letzten Einzelheiten konnte man nur erkennen, wenn man als Beobachter auf den Schotterwegen nahe genug heranging und die Schilder lesen konnte, auf denen geschrieben stand: BETRETEN VERBOTEN - EIGENTUM DER US- REGIERUNG - Ab diesem Punkt ist der Einsatz tödlicher Waffen erlaubt. Sonst war nichts zu sehen. Kein Laut war zu hören, abgesehen vom Wind, der über die Prärie strich, und dem gelegentlichen Muhen der Kühe auf den umliegenden Weiden.
Der blaue Mannschaftswagen der Luftwaffe verließ den Luftwaffenstützpunkt Warren um 6 Uhr 05 und kehrte mit den letzten Mitgliedern des Personals um 8 Uhr 27 zurück; in der Zwischenzeit wurde das Personal der nächsten Schicht an den vorgeschriebenen Kommandostationen abgesetzt. An diesem Morgen saßen sechs junge Lieutenants in dem Wagen, zwei für das acht Meilen südöstlich von Meriden gelegene Hauptquartier der SAC- Abschußrampenkontrolle, vier für den Bunker, der achtunddreißig Meilen entfernt Richtung Chugwater lag.
Die beiden Lieutenants auf dem Rücksitz betrachteten die umliegende Landschaft mit von Routine abgestumpften Augen. Sie hatten Satellitenfotos gesehen, die das sechstausend Quadratmeilen große Terrain so zeigten, wie es die Sowjets sahen - die zehn Ringe der Silos, Kreise mit einem Durchmesser von acht Meilen, jedes der sechzehn Silos in jedem Kreis mit einem ferngelenkten Minuteman-III-Flugkörper bestückt. In den zurückliegenden Monaten war viel von der Anfälligkeit dieser veralteten Silos gesprochen worden, von der sowjetischen >pindown-Strategie<, mit der sie stundenlang jede Minute einen Nuklearsprengkopf über diesem Prärieland detonieren lassen konnten, und von Gerüchten, die Silos massiver zu bauen oder mit neuen Waffen zu bestücken. Aber das waren politische Belange, die für Lieutenant Daniel Beale oder Lieutenant Tom Walters kaum unmittelbares Interesse bargen; sie waren einfach zwei junge Leute, die an einem kalten Frühlingsmorgen zur Arbeit fuhren.
»Tom, heute gut drauf?« fragte Beale.
»Klar«, sagte Walters. Er wandte den Blick nicht vom fernen Horizont ab.
»Hast bis spät in die Nacht mit diesen Touristen gefetet, was, Mann?«
»Nn-nnn«, sagte Walters. »War um acht in der Falle.«
Beale rückte die Sonnenbrille zurecht und nickte. »Klar, glaub’ ich dir aufs Wort.«
Der Mannschaftswagen der Luftwaffe bremste und bog nach links auf zwei Schotterspuren ab, die von der Straße abgingen und einen Hügel hinauf nach Nordwesten führten. Sie kamen an drei Schildern vorbei, die verlangten, daß unbefugtes Personal anhielt, wendete und umkehrte. Eine Viertelmeile vom Kontrollzentrum entfernt mußten sie beim Wachtposten des ersten Tors halten. Jeder Mann zeigte seinen Ausweis vor, während der Posten ihre Ankunft über Funk ankündigte. Beim Eingang zum Hauptkomplex wiederholte sich der Vorgang. Die Lieutenants Beale und Walters schritten im Zaunkorridor zum Eingangsgebäude, während der Mannschaftswagen wendete und in Bergabrichtung parkte. Seine Auspuffabgase trieben in der kalten Morgenluft nach oben.
»Bist du in Smittys Kasse reingekommen?« fragte Lieutenant Beale, während sie auf den Fahrstuhl warteten. Ein gelangweilter Wachsoldat mit einer M-16 unterdrückte ein Gähnen.
»Nein«, sagte Lieutenant Walters.
»Ohne Scheiß? Ich hab’ gedacht, du könntest es kaum
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