Kraft des Bösen
auf hundert Prozent Sauerstoffselbstversorgung umschaltete. Dann setzte sich Walters wieder auf seinen eigenen Stuhl und studierte mehrere Minuten lang das Handbuch.
Durch die dicke Stahltür konnte man gerade noch hektisches Klopfen hören, als Walters aufstand, sieben Schritte zu Beales Sitz ging, dem toten Mann den langen Auslöseschlüssel aus der Tasche holte und diesen ins entsprechende Panel einführte. Er drückte die fünf Schalter, die die Flugkörper scharf machten, dann machte er dasselbe an seiner Konsole und legte seinen eigenen Schlüssel ein.
Lieutenant Walters schaltete die Sprechanlage ein.
»... zum Teufel, was machen Sie da drinnen, Lieutenant?« Es war die Stimme von Oberst Anderson vom Kontrollzentrum in Warren. »Sie wissen, daß zwei Männer an den Schlüsseln erforderlich sind. Und jetzt öffnen Sie auf der Stelle die Tür!«
Walters schaltete die Sprechanlage ab und verfolgte die Digitaluhr, die die Neunzig-Sekunden-Marke überschritt und weiter abwärts zählte. Laut Bedienungshandbuch müßten die riesigen Sprengladungen der Betondeckel in diesem Augenblick scharf gemacht werden, um die 110-Tonnen-Tore der Silos eine Viertelmeile über das Grasland zu jagen und die glatten Edel stahl schächte und die Köpfe der reglosen Minuteman- Raketen freizulegen. Bei Zündung minus sechzig Sekunden würden an jedem Silo Sirenen ertönen und Reparatur- oder Wartungstrupps warnen, die sich in der Umgebung aufhielten. In Wirklichkeit würde das Heulen nur Kaninchen, Vieh und vereinzelte Rancher aufschrecken, die mit ihren Lieferwagen vorbeifuhren. Die Minuteman-Raketen waren mit Festkörpertreibstoff ausgerüstet und warteten nur auf das elektronische Streichholz, das sie zünden würde. Zielkoordinaten, Leitprogramme, Gyroskope und die elektronischen Abschußvorrichtungen waren während des Übungsabschnitts für die Abschußsequenz aktiviert worden. Bei Zündung minus dreißig Sekunden würden die Computer die Sequenz unterbrechen und auf das Abschußsignal der beiden Schlüssel warten. Wenn diese beiden Schlüssel nicht gemeinsam gedreht wurden, würde die Warteposition auf unbestimmte Zeit beibehalten werden.
Walters sah zu Beales Konsole hinüber. Die beiden Schlüssel waren fast fünf Meter voneinander entfernt. Sie mußten in einem Abstand von höchstens einer Sekunde gedreht werden. Die Luftwaffe hatte peinlich genau darauf geachtet, daß es einem Mann unmöglich sein würde, seinen Schlüssel zu drehen und dann innerhalb des erforderlichen Zeitintervalls zum nächsten zu rasen.
Tom Walters’ Mundwinkel zuckten nach oben. Er ging zu Beales Konsole, schob Sitz nebst Leichnam auf der Schiene aus dem Weg und holte einen Löffel nebst zwei Längen Schnur aus der Tasche. Bei dem Löffel handelte es sich um einen gewöhnlichen Suppenlöffel, den er in der Offiziersmesse in Warren hatte mitgehen lassen. Walters band die Vertiefung des Löffels an den Flansch des Schlüssels, so daß der Griff im rechten Winkel nach unten stand, dann knotete er die längere Schnur ans Ende des Griffes. Er ging zu seinem eigenen Panel, zog die Schnur straff, wartete, bis die Uhr bei dreißig stand, drehte seinen eigenen Schlüssel herum und zog heftig an der Schnur. Der Löffel brachte genügend Hebelwirkung, daß Beales Schlüssel ebenfalls gedreht wurde.
Der Computer bestätigte das Abschußaktivierungssignal, verifizierte den Abschußcode, den er und Beale während der Übung eingegeben hatten, und begann mit den letzten dreißig Sekunden der Abschußsequenz.
Walters zog einen Block zu sich und schrieb eine kurze Notiz. Er sah zur Tür. Eine Stelle des Stahls beim Griff des Schlosses glühte kirschrot, weil sie versuchten, die Luftschleuse mit einem Azetylenbrenner aufzuschweißen. Es würde noch mindestens zwei Minuten dauern, bis das Metall durchgebrannt war.
Lieutenant Tom Walters lächelte, schnallte sich auf seinem Sitz fest, nahm den Lauf der 45 er in den Mund, so daß das Korn seinen Gaumen berührte, und drückte mit dem Daumen ab.
Drei Stunden später entfernten sich General Verne Ketchum, USAF, und sein Attaché, Oberst Stephen Anderson, vom Komplex des Kontrollzentrums, um frische Luft zu schnappen und das Chaos zu betrachten. Fast ein Dutzend Militärfahrzeuge und drei Krankenwagen drängten sich auf dem Parkplatz und bergab in der inneren Sicherheitszone. Fünf Helikopter parkten auf der Wiese hinter dem westlichen Grenzzaun, und Ketchum konnte zwei weitere pochen hören, die von Südwesten
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